Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
verheerende Wirkung massiver Flächenbombardements. Links und rechts der Straße war alles leer geräumt. Man konnte an wenigen stehen gebliebenen Gebäuden erkennen, daß dort überall einmal Häuser gestanden hatten.
Einige alte, zerrupfte Straßenbäume kündeten ebenfalls von einem Inferno dramatischen Ausmaßes. Ohne Belaubung, meinte Sebastian, müßten diese übrig gebliebenen Bäume wie große, zerfledderte Reisigbesen in den Himmel ragen. Gegen solche Städte, fand er, war Großräschen ja noch eine ganz heile Welt.
Wahrscheinlich, sagte er sich auf seinem Weg vom Bahnhof ins Zentrum der Stadt, hatten sich gerade die kriegswichtigen Junkerswerke als Ziel erwiesen, das solche Verheerungen provoziert hatte. Die Bewohner damals waren in Massen zerfetzt, verbrannt oder von zusammenstürzenden Häusern erschlagen worden. Ob hier noch tote Seelen unerkannt und unerlöst umherirrten? Sebastian sah sich nach rechts und links um. Vielleicht nachts? Dann schüttelte er über sich selber den Kopf. Umherirrende Seelen gab’s nicht – wahrscheinlich nicht … na ja …
Auf dem Marktplatz fiel ihm sogleich der Ratskeller ins Auge, ein halbwegs gut erhaltenes Haus. Das erste Gasthaus, registrierte er. Ob die auch Zimmer vermieten? Er ging ein paar Stufen hinab und betrat einen rustikal eingerichteten Gastraum. Dort sah er sich nach Hans-Peter um, doch in einer Ecke spielten lediglich ein paar Einheimische Karten. An der Theke erkundigte er sich beim Wirt nach Übernachtungsmöglichkeiten. Der schüttelte den Kopf. „Zimmer haben wir leider nicht.“ Dann sah er Sebastian an. „Wie ist denn Ihr Name?“
„Sebaldt“, sagte Sebastian ein wenig verwundert, „warum?“
„Hier hat heute schon mal einer nach einem Zimmer gefragt. Und wenn Sie Sebaldt heißen“, dazu sah er auf einen Zettel neben der Kasse, „dann ist dieser Brief hier für Sie bestimmt. Den hat der junge Mann vorhin für Sie hinterlegt.“
Sebastian nahm den Brief. „Danke, das hat schon seine Richtigkeit.“
„Mit Hotels sieht’s hier ganz schlecht aus“, erklärte der Wirt, „vieles ist kaputt, wie Sie ja sehen konnten. Der junge Mann von vorhin wird, wenn er Sie erwartet, sicher aufgeschrieben haben, wo er Quartier gefunden hat. Ich hatte ihm das nämlich gesagt und es hat ja offensichtlich auch geklappt. Die Unterkunft ist privat und der Weg schwer zu beschreiben. Es ist ein Hof, nicht weit von hier, aber etwas außerhalb. Sie könnten sogar laufen, aber ob Sie’s finden…?“
Sebastian riß den Umschlag auf und las den Zettel, auf dem die Adresse stand. Das ist nicht weit, aber nimm ein Taxi, hatte Hans-Peter geschrieben. „Ein Taxi?“ fragte Sebastian.
„Die haben wir hier“, bestätigte der Wirt, „sogar telefonisch erreichbar. Ich kann Ihnen eins rufen.“
„Das wäre furchtbar nett. Mein Kollege schreibt hier auch was von einem Taxi“, und Sebastian wedelte dazu mit dem Zettel.
„Ja, das ist das einfachste.“ Das Telefon hing neben der Theke, war dort an der Wand befestigt, so daß es auch für Gäste erreichbar war.
Der Wirt telefonierte. „Kommt gleich“, sagte er, während er den Hörer einhängte. „Wenn Sie den Weg erstmal kennen, finden Sie ihn auch zu Fuß wieder.“
„Kann man bei Ihnen auch was zu essen bekommen?“ Schließlich hatte Sebastian am frühen Morgen das letzte Mal etwas Konkretes zu sich genommen.
„Auf Marken?“ fragte der Wirt.
„Nein, ohne.“
„Also viel habe ich sowieso nicht. Bratkartoffeln“, sagte der Wirt, „Spiegeleier, ‘ne Scheibe Brot und etwas Rohkostsalat.“
Inzwischen stand auch der Taxifahrer in der Tür.
„Ist vollkommen in Ordnung“, erklärte Sebastian beim Rausgehen, „ich komme mit meinem Kollegen nachher gleich noch vorbei.“
„Aber vor neun“, der Wirt wies auf die Uhr hinter der Theke.
„Da haben wir ja noch ‘ne Stunde“, winkte Sebastian ab.
„Um zehn ist hier nämlich Feierabend“, sagte der Wirt.
„Ist denn so wenig los?“
„Was soll sein?“ Der Wirt hob dazu die Schultern.
„Na, bis gleich dann“, und Sebastian verließ hinter dem Taxichauffeur das Lokal.
Um zehne schon Schluß, sagte Sebastian sich, das ist ja schlimmer als in Großräschen. „Warum machen denn die hier schon um zehn Uhr dicht?“ fragte er den Taxifahrer, als sie losfuhren.
„Wieso?“ fragte der zurück.
„Na, der Wirt sagte doch eben, um zehn sei Feierabend.“
„Sie wollen doch was essen, wenn ich das richtig mitgekriegt habe.“
„Ja, das
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