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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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wahrscheinlich auf nähere Erklärungen warten würde. Dann wäre es allerdings bereits zu spät. Hans-Peter warf den frankierten Brief noch am selben Abend in den Postkasten.
    Wenn der am nächsten Tag eintraf, wäre die Falle von der Stasi längst gestellt. Man würde Totila dann noch ein paar Tage beobachten, hatte sein Vater ihm gesagt und ebenso Sebastian. Bei letzterem Gedanken verschlug es ihm wieder den Atem. Er ging rasch ans Fenster seines Zimmers und öffnete es, um ein paar Mal tief Luft zu holen. Mit solchen Rührseligkeiten mußte es jetzt ein Ende haben und so schloß er energisch den Fensterflügel.
    Seine Mutter hatte ihm schon eine ganze Stunde vorgeheult, daß er sich seine berufliche Zukunft zerstört habe. Was denn nun aus ihm werden solle und wenn er auch noch ins Gefängnis müsse … Das alles nervte ihn. Es gab eben nur noch einen Weg.
    Diese vorgetragene Tatsache hatte bei seiner Mutter nur wieder zu neuen Tränenströmen und weiteren Vorwürfen geführt. Dabei bestand für ihn doch keine Gefahr, ganz im Gegensatz zu Sebastian und Totila. Einige Wochen würde er das schon durchhalten. Und so vergrub er sich für diesen Abend in seinem Zimmer und verließ es selbst zum Abendbrot nicht. Er hörte Musik, hauptsächlich Westschlager auf dem Plattenspieler seiner Schwester. Fragen stellte er sich dabei nicht mehr.
    Sebastians Mutter war, nachdem Hans-Peter die Wohnung verlassen hatte, aus der Küche in den Flur getreten. „Wer war denn das eben?“
    „War nur Moses.“
    „Was wollte der denn?“
    Sebastian hob die Schultern. „Eigentlich nichts“, sagte er.
    „Der alte Sasse ist doch wahrscheinlich ein Spitzel“, sagte seine Mutter nachdenklich. „So richtig gefällt mir die ganze Familie nicht.“
    „Was stört dich daran?“
    „Es gibt Leute, denen fehlt es einfach an Respekt, auch vor menschlichen Werten, ethischen Normen, auch vor dem Eigentum anderer.“
    „Du denkst doch nicht etwa, daß Hans-Peter klaut…“
    „Darum geht’s doch nicht, ich meine hier einfach die Kultur der Verläßlichkeit, die eigene Würde“, sie schüttelte den Kopf, „auch Treue sich selbst gegenüber.“
    „Na, ist das nicht ein bißchen hochgestochen, Moral und Ethik? Heute zählt doch nur Ergebenheit der Partei und der Arbeiterklasse gegenüber“, meinte Sebastian in ironischem Ton.
    Die Mutter winkte ab. „Merk’ dir’s ruhig“, sagte sie, „es gibt nur ein Gewissen, einmal verraten ist es für immer futsch.“
    „Es kann doch aber Notsituationen geben …“
    „Dann bete darum“, unterbrach ihn die Mutter, „daß du nie in eine solche Situation gerätst.“ Damit wandte sie sich wieder der Küche zu. „Ich muß sehen, daß ich irgendwas zu essen zusammenbringe“, erklärte sie.
    Die Tage vergingen, Sebastian fuhr weiterhin zur Arbeit in den Wald, obwohl er sich immer öfter fragte, wozu das eigentlich noch gut sein sollte. Das Wetter blieb trist, grau, kühl und feucht. Wenn er nach Hause kam, war es fast dunkel.

    Seit einiger Zeit schon beschäftigte ihn der Gedanke wieder selbstgemachte Flugblätter zu kleben. Überall gingen zum Beispiel Handwerker lieber in den Westen, ehe sie sich in sogenannten Genossenschaften vergesellschaften ließen. Ebenso erging es auch vielen Geschäfts- und Ladenbesitzern, die unter Druck gesetzt wurden ihre Geschäfte etwa der Konsumgenossenschaft zu überlassen.
    Enteignungen allenthalben. Sebastian wußte natürlich von Geschäftsleuten und eigenständigen Handwerkern sowie über seinen Vater auch von Landwirten in den umliegenden Dörfern, die auf gepackten Koffern saßen. Es mußte schmerzhaft sein, die Heimat von Generationen aufgeben zu müssen. Dieser Exodus von tüchtigen Leuten, denen man als Bürgerlichen misstraute, meinte Sebastian, sei durchaus ein Flugblattthema.
    Kurzfristig entschloß er sich den kommenden Donnerstag und Freitag krank zu machen, witterungsgemäß grippaler Infekt oder so was … Zu Hause widmete er sich dann wieder seiner großen Bleistiftzeichnung, diesem Moränenwaldstück.
    Von Richard in Drei Linden besorgte er sich zwischendurch ein paar Westzigaretten, das Stück immer noch für fünf Mark. In Westberlin zahlte er umgerechnet lediglich fünfzig Pfennig Ost. Doch Richard ließ sich als Gaststättenleiter das Risiko, solche Zigaretten für besondere Kunden unter der Theke bereitzuhalten, auch angemessen bezahlen, akzeptiert natürlich von jedem seiner Stammgäste.
    Später fuhr er noch mit dem Fahrrad in die kleine

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