Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Sie das gezeichnet“, fragte einer der Männer, offensichtlich der Vorgesetzte der Dreiergruppe, mit einer Kopfbewegung Richtung Reißbrett.
„Ja, ich bin gerade dabei …“
Von da an ließen sie ihn nicht mehr aus den Augen, kramten auf dem Schreibtisch seiner Mutter, durchwühlten Schubladen und Schränke und legten einige vollgeschriebene Bogen und ein Bündel Briefe beiseite. Dann blieb einer bei ihm und die beiden anderen durchstreiften weiterhin die Wohnung. Einer tauchte mit Sebastians Luftgewehr auf, der andere mit einem Ehrensäbel der Luftwaffe, den Sebastian im Kleiderschrank verkramt und schon fast vergessen hatte. „Ihre Sachen?“
„Ja.“
Auch das Bücherregal wurde inspiziert und Bücher beiseite gepackt, beispielsweise Dwingers „Armee hinter Stacheldraht“ – sehr verdächtig. Es ging dort um deutsche Soldaten des ersten Weltkrieges in russischer Gefangenschaft oder auch um Clausewitz’ „Vom Kriege“ und um „Die Geschichte Preußens“… Doch Ostrowskis „Wie der Stahl gehärtet wurde“ nahm der eine lediglich in die Hand, drehte es einmal hin, einmal her und stellte es rasch wieder ins Regal zurück. Sein Portemonnaie wurde schließlich genauer durchsucht, bis man dort auf einen Westpfennig stieß.
„Nur ein Talisman“, erklärte Sebastian den Dreien.
„Talisman? Das Westgeld wird beschlagnahmt“, sagte der Vorgesetzte der beiden anderen Ledermäntel. „Das wird doch nicht das einzige sein“ knurrte er und besah sich diesen Pfennig in seiner geöffneten Hand ganz genau.
„Doch das einzige“, widersprach Sebastian, „woher sollte ich denn solches Geld nehmen?“
Die Pseudoschlapphüte äußerten sich nicht dazu. Sebastian hatte nur den Eindruck, daß sie sich vielsagend anblickten. Die können doch bloß einen Verdacht haben, nicht mehr, schoß es ihm durch den Kopf. Die wissen nichts. Woher sollten sie? Wenn das vorüber ist haue ich doch lieber schleunigst ab, nahm er sich vor. Zerstreuen mußte man diesen Verdacht und das traute er sich zu.
Nachdem die Stasi-Troika über drei Stunden lang die Wohnung durchschnüffelt hatte, führten sie alle beschlagnahmten Gegenstände in einer Liste auf, darunter auch Sebastians Portemonnaie mit abgezähltem Kleingeld und dem Westpfennig. „Unterschreiben Sie hier“, forderte einer ihn auf und wies mit dem Finger auf den unteren Rand der Liste. „Das Westgeld wird eingezogen“, verkündete er.
Sebastian unterschrieb. Bedenklich nur, meinte er, daß sie die handgeschriebenen Manuskripte zweier politischer Gedichte seiner Mutter, die auf dem Schreibtisch lagen mit eingepackt hatten. Ganz schlimm, wenn die nun auch noch mit hineingezogen werden würde, denn diese Gedichte, wußte er, prangerten die bedrückende Atmosphäre an, die über dem ganzen Lande lag. Von ihm selbst, wußte Sebastian, hatten sie nichts Handschriftliches aufgefunden und so gab er sich schon beim Unterschreiben der Liste Mühe, seine Unterschrift der Handschrift seiner Mutter anzupassen.
„Sie müssen nur zu einer Sachklärung mal mit nach Senftenberg kommen“, hörte er wieder den Vorgesetzten der beiden anderen sagen. Das klang gewollt harmlos, war aber womöglich eine Chance Verdachtsmomente auszuräumen. Vielleicht würde er auch erfahren, wo diese ihren Ursprung hatten – eventuell im Westen? Ausschließen konnte er das nicht.
Als sie die Wohnung verließen, die Stasi mit dem beschlagnahmten Luftgewehr in der Hand, trafen sie im Treppenflur auf Sebastians Großmutter, die ihren Enkel entgeistert anstarrte, als der ihr erklärte, er müsse zu einer Klarstellung mit der Staatssicherheit hier, dazu wies er auf die Ledermantel-Troika, nach Senftenberg. Sie solle das den Eltern sagen.
Die Stasimannen zeigten sich irritiert und gaben das durch ihre Mienen ungewollt zu verstehen – ein Umstand, der ihnen ganz und gar nicht in den Kram zu passen schien, denn Angst und Unsicherheit nach allen Seiten war stets das Klima, das sie zu erzeugen suchten.
Durch das Auftauchen dieser Oma wurde der Faktor Angst und Verzweiflung der Angehörigen zum Teil zunichte gemacht. Sie konnten ja nicht gut auch noch die Großmutter mitnehmen, um Sebastians Eltern in Unsicherheit zu halten und ihrem Gefangenen vor allem konnten sie, um den Druck zu erhöhen, nun nicht mehr erzählen, daß seine Eltern nicht wissen würden, wo er abgeblieben sei.
Natürlich waren es bereits Sorgen genug, den Sohn in Stasihaft zu wissen, aber an Haft wollte Sebastian selbst noch nicht
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