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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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kennengelernt, als wir Irene besuchen wollten. Die war mit dabei und ich hatte den Zug verpaßt. Hat sie doch erzählt, als Mutti sie in Westberlin besucht hat.“
    „Und was meint dein Freund zu deiner Absicht?“
    „Der weiß davon noch nichts“, erklärte der Sohn.
    „Wie denn“, fragte der alte Sasse, „ist das allein deine Idee?“
    „Ich hatte da schon mal so was gesagt, aber Sebastian hat das für’n Spaß gehalten.“
    „Na schön, dann laß ihn dabei. Deine Anzeige und Selbstanzeige wäre so ein Schritt in die Wiedergutmachung. Und das sage ich dir, das ist schon mehr als peinlich, mein Sohn auf der Seite des Klassenfeinds, ein Agent der imperialistischen Spalter und Kriegstreiber. Wie soll ich das den Genossen erklären? Das läßt sich überhaupt nur mildern, wenn du zutiefst bereust und deine Wiedergutmachung schnellstens einsetzt.“
    „Aber Sebastian ist doch mein Freund“, versuchte Hans-Peter einzuwenden.
    „Wenn du aus dieser Verirrung zurück willst, gilt eine falsche Freundschaft nichts, das muß dir klar sein. Und der junge Sebaldt hat ja, wie du selbst gesagt hast, nicht die Absicht umzukehren. Dann laß ihn dabei und auch den Popensohn, diesen Kunzmann.“
    „Aber ich hab’ ihn doch noch gar nicht gefragt …“
    „Das ist auch absolut nicht angebracht. Und noch eins: Glaub nur nicht, daß du ganz ungeschoren davon kommst. Die werden dich einsperren, wenn vielleicht auch nur für ein paar Wochen oder Monate. Du wirst dich bewähren müssen, das ist schon mal klar.“
    „Ich würde selber gerne bei der Stasi arbeiten“, warf der Sohn ein.
    Der alte Sasse lachte kurz auf. „Ins Staatssekretariat für Staatssicherheit“, sagte er kopfschüttelnd, „da kommt nicht jeder rein. Was anderes ist es, für die Stasi und nicht bei ihr zu arbeiten. Das ist ab jetzt sowieso deine Pflicht.“
    „Heißt das, ich muß spitzeln?“
    „Was für’n blödes Wort“, antwortete Vater Sasse. „Ein Informant des Staates, unseres Staates, das ist doch nichts Ehrenrühriges, ganz im Gegenteil. Eine Menge Menschen sind vom Sieg der Weltrevolution noch längst nicht überzeugt, viele wollen das auch gar nicht, sind feindlich eingestellt. Und dann gibt’s die Agenten des sozialistischen Klassenfeinds. Dazu zählen auch der junge Sebaldt, dieser Popensohn Kunzmann und, völlig unerklärlich für mich, auch du. Bei deinen Freunden, aufgewachsen in Familien, die der Arbeiterklasse nie sonderlich freundlich gesonnen waren, ist so was nicht verwunderlich, aber du… Ich begreif’s einfach nicht. Das sind nicht deine Freunde“, wetterte der alte Sasse und ließ dabei das Schneegestöber in der Glaskugel wieder los…
    Schnee, viel Schnee, eine steile Schneewand aus einer Schlucht ragend, die weit unten in grauer Tiefe verdämmerte. „Aber so kann ich das nicht sehen“, sagte Hans-Peter zögernd, „Sebastian ist doch kein Feind.“
    Sein Vater schüttelte wieder den Kopf und sah seinen Sprößling abschätzend an. „Kein Feind? Es scheint, du verstehst gar nichts mehr. Wir brauchen zum Beispiel den Architekten Sebaldt, aber nicht, weil der ein so netter Mensch ist, sondern nur, weil wir selber noch nicht genügend Spezialisten ausgebildet haben.“
    „Aber warum durfte Sebastian dann nicht weiter zur Schule gehen?“
    „Durfte er nicht?“
    „Nee. Kein Platz mehr frei, haben die ihm geschrieben.“
    „Dann wird’s schon so gewesen sein. Erstmal Arbeiter- und Bauernkinder, das ist doch klar.“
    „Aber nicht gerecht“, ergänzte Hans-Peter.
    „Doch gerecht“, widersprach sein Vater, „gerade das ist es, nämlich gerecht. Früher war’s mal umgedreht.“
    So muß man wohl denken, überlegte Hans-Peter, oder zumindest so reden: Klassenfeind und Klassenkampf, Weltfrieden und Völkerfreundschaft, Antifaschismus und Weltkommunismus … Aber jetzt hatte er seinem Alten alles gestanden, zurück ging’s nicht mehr.
    „Also, hör zu“, vernahm er dann auch dessen Stimme wieder und sah ihn einige Schriftstücke nervös auf dem Schreibtisch hin und her schieben. „Ich kenne den Chef der Staatssicherheits-Kreisdienststelle. Ich ruf’ den nächste Woche, am besten gleich Montag, an – aber peinlich ist das alles schon“, fügte er nach kurzer Pause ein wenig nachdenklich hinzu. „Du bringst mich da ganz schön in Verlegenheit. Jedenfalls wissen die dann Bescheid“, fuhr er entschlossen fort. „Du fährst hin und stellst dich denen, erzählst alles, läßt nichts weg und bleibst bei der

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