Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Sie uns alles und Sie könnten schon vor Weihnachten wieder zu Hause sein.“
Jetzt veralbert ihr mich aber auch, dachte Sebastian sich. Vor Weihnachten zu Hause sein … das ist der Versuch mit den Tränendrüsen. Laut erklärte er: „Ich müßte Sie doch belügen, wenn ich zugeben würde, was ich nicht weiß.“
„Jetzt reichts!“ schrie der Major und sprang mit einem Satz auf Sebastian zu. Der blickte in ein wutverzerrtes Gesicht, doch der Zivilist auf der anderen Seite bot ihm aus seiner Schachtel eine Zigarette an.
Sebastian bediente sich dankend, rauchte und hoffte, daß sie ihm ihre Quelle verraten würden, vielleicht wenn sie in Rage gerieten. Sein Leugnen diente vorwiegend diesem Zweck. Denn wenn es eine interne Quelle gab und es sah ganz danach aus, dann, das war ihm klar, war sein Schicksal vorläufig besiegelt. Doch wenn er die Quelle kannte brauchte er nur zuzugeben was von dieser Seite kam und nicht einen Deut mehr. Schlimm allerdings, wenn der Maulwurf in Pullach saß, denn ein vollständiges Leugnen wäre auf Dauer nicht durchzuhalten. Er hätte diese Anschuldigungen ja widerlegen müssen, denn es war nicht so, daß die Stasi deren Richtigkeit beweisen mußte. Nein. So war sie nun mal, die Klassenjustiz der Diktatur des Proletariats.
„Na gut“, sagte er irgendwann nach stundenlangem Gerangel, in dessen Verlauf man ihn mit Fäusten traktierte, ihm eine brennende Zigarette aus der Hand schlug, ihm den Tod androhte: Schade um den jungen Kopf und: auf diesem Schemel dort hat schon Burjanek gesessen. Die versuchte Sprengung einer Eisenbahnbrücke hieß es dazu. Von der Hinrichtung hatte er in der Zeitung gelesen.
Aber auch: „Wir würden bei Gericht ein gutes Wort für Sie einlegen, wenn Sie aussagen und unser Wort ist entscheidend, das können Sie uns glauben.“
„In Ordnung, ich kenne einen Bodo Hoffmann in Westberlin“, sagte Sebastian schließlich. „Er spendierte mir damals ein paar Glas Bier im Kaffeestübchen am Roseneck …“
„Und?“ fragte der Hauptmann.
„Da war nichts weiter“, erwiderte Sebastian.
„Worüber haben Sie gesprochen?“ wollte der Major wissen.
Sebastian starrte kurz gegen die Zimmerdecke: „Das weiß ich so genau nicht mehr“, sagte er dann und sah dazu den Major an. „Ich glaube aber, es ging um Bücher und Filme …“
„Und über militärische Objekte wie den sowjetischen Flugplatz in Welzow?“ fragte der Major.
„Welzow?“ Sebastian sah fragend um sich.
Da sprang der Major wieder mit einem Satz heran und schlug ihm die Faust in den Nacken.
Dieser Major war zum Glück ein schmächtiger Mann, so daß der Schlag nicht sonderlich schmerzte. Das über Welzow wissen sie also auch, registrierte Sebastian. Wo konnte die verdammte undichte Stelle bloß sein? Er wußte eben noch zu wenig von dem, was die wußten und würde wohl noch so manchen Genickschlag einstecken müssen. Sie wußten allerdings einiges auch im Detail. Die wesentliche Frage aber war und blieb doch immer wieder, woher? Und immer wieder der Major: „Wen kennen Sie noch in Westberlin?“
Dazu dann stets Sebastians lapidare Antwort von seinem Onkel. Sie glaubten ihm nicht, wußten allerdings etwas und wollten von ihm die Bestätigung. Wir wissen alles, das war selbstverständlich nur eine Finte. Andererseits kannte er in Westberlin außer Hoffmann wirklich niemanden mehr.
„Wann haben Sie Pfarrer Kunzmann mit Hoffmann bekannt gemacht“, wollte nun der Hauptmann wissen.
„Gar nicht“, erklärte Sebastian und schüttelte nachdrücklich den Kopf.
„Sie haben den Pfarrer doch zusammen mit Ihrem Freund Sasse in der Jebenstraße abgeholt.“
Verdammt, schoß es ihm voller Schrecken durch den Kopf, da muß Moses gequatscht haben. „Ach, das meinen Sie“, sagte er, als begriffe er erst jetzt die Frage und lächelte. „Ja klar, wir haben den Pfarrer in der Jebenstraße abgeholt, um von Berlin aus nach Hause zu fahren.“
„Was haben Sie in Berlin gemacht?“
„Wir haben uns also mit Sasse in der HO jeder einen Mantel gekauft.“
„Und sonst?“
„Nichts weiter.“
„Haben Sie Hoffmann getroffen?“
„An dem Tag soviel ich weiß nicht.“
„Was heißt, soviel ich weiß?“
„Na ja, also an dem Tag nicht, nein …“
„An einem andern Tag?“
„Ja schon, aber ohne den Pfarrer.“
„Haben Sie diesen Hoffmann mit Ihrem Freund Sasse öfter getroffen?“
„Ja, ein paar Mal haben wir ihn getroffen.“
„Und weshalb?“
„Nur so …“
„Ach ja“,
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