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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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normale Alphabet und er begann mitzuzählen, als die Klopfzeichen erneut einsetzten. Dreiundzwanzig, eine Pause, fünf, eine Pause, achtzehn, eine Pause, ein kurzes Schaben und wieder vier Klopfzeichen, kurze Pause, ein Klopfzeichen, danach ein dreimaliger kurzer Doppelschlag, dann Stille.
    Sebastian sagte sich rasch das Alphabet auf und zählte an den Fingern mit. Bei dreiundzwanzig stieß er aufs W, bei fünf aufs E, bei achtzehn aufs R. Wer, sagte er sich, dann bei vier das D und einmal das A: Wer da? Sebastian nahm seinen abgebrochenen Taschenkamm, den man ihm gelassen und den er in der Zelle behalten hatte und klopfte mit der Kante das Alphabet bis S, dann bis E, bis B, A, S, T, I, A, N – kurzes Schaben S, E, B, A, L, D, T – dreimal kurzer Doppelschlag.
    Zweimal kurzes Kratzen aus der Nebenzelle. Das wird, sagte Sebastian sich, ‘verstanden’ heißen. So ging das also. Man würde mit einiger Übung schon schneller werden. Auf der anderen Seite blieb es danach ruhig. Sebastian versuchte sich in die Einschlaflage zu bringen, dabei geriet er schließlich wieder in eine Seitenlage, so daß nicht beide Hände auf der Decke lagen.
    Postwendend krachten draußen schwere Schlüssel gegen den Eisenbeschlag der Türe. Sebastian schreckte hoch. „Hände auf die Decke!“
    „Ja doch“, murmelte er, rollte sich auf den Rücken und versuchte erneut in den Schlaf zu kommen. Dreimal wurde er wieder wachgepoltert, weil er sich im Schlaf auf die Seite gedreht hatte. Dann kam ihn das Bedürfnis an, diesen wackligen Kübel in der Ecke zu benutzen. Ihm war auch klar geworden, daß die trübe Funzel über der Tür sowieso die ganze Nacht brennen würde. Er schob das Kübelgestell noch weiter in die Ecke, obgleich der Schließer ihn auch dort durch den Spion in der Tür würde sehen können.
    Als er schließlich auf dem Kübel hockte, klapperte es wieder am Spion und der da draußen blickte ausgerechnet diesmal länger in die Zelle, vielleicht aber auch, weil er ihn auf der Matratze nicht hatte entdecken können. Kein Poltern gegen die Türe, auf dem Kübel sitzen war also auch während der Nacht erlaubt.

    Es war dann schon früh am Morgen, als Sebastian auf dem Rücken liegend mit den Händen auf der Decke endlich in traumlos tiefen Schlaf gefallen war. Es schienen ihm erst wenige Minuten vergangen zu sein, als der Schließer ihn riegelkrachend in die enge Realität der Zelle holte: „Aufstehen! Haben Sie das Wecken nicht gehört?“
    Sebastian sprang von der Pritsche und sah leicht benommen um sich.
    „Nun aber dalli“, hörte er den Schließer. „Nehmen Sie Ihre Sachen rein und die Waschschüssel.“
    Sebastian holte sein Bündel und konnte sich dabei kaum bücken, so schmerzte sein Kreuz wegen der dauernden Rückenlage auf der durchgelegenen Matratze. Er taumelte noch immer leicht, als er die Schüssel und die volle Wasserkanne aufhob, ein wenig schwappte auf den Betonboden.
    „Nach dem Waschen in den Kübel schütten“, sagte der Schließer und warf die Tür mit fast gleichzeitigem Krachen der Riegel ins Schloß.
    Ja natürlich. Seife? Gab es nicht. Egal. Wasser … Dieses Aluminiumschüsselchen, nur wenig größer als ein Eßnapf, wie sollte man sich da waschen? Gesicht waschen, Hände, durchgeschwitzte Achselhöhlen … Du liebe Güte, schwitzte man bei diesen Verhören. Das Hemd war unter den Achseln regelrecht durchnäßt. Zähneputzen? Fehlanzeige, war nicht.
    Schon kam das Krachen der Riegel und Schlösser auf dem Gang allmählich wieder näher. Jedes Mal tappten eilige Schritte an seiner Tür vorüber, einmal hin und dann wieder zurück.
    Sebastian trocknete sich eilig mit dem Läppchen ab, das man ihm als Handtuch verpaßt hatte, zog Hose, Strümpfe, Schuhe an und schüttete das Wasser in den Kübel, als auch schon seine Türe aufsprang.
    Der Schließer wies mit dem Schlüssel in der Hand auf den Kübel: „Kommen Sie!“
    Sebastian hob ihn aus dem Gestell…
    „Deckel ab.“
    Sebastian legte den Deckel auf den Fußboden.
    „Laufen Sie!“ Dazu wies der Posten mit dem Arm nach rechts. „Dalli, dalli“, sagte er wieder. Am Ende des Ganges stand ein jüngerer Schließer, einen blank gewichsten Stiefel ins Geländer gestemmt, in der Hand eine Zigarette, der Sebastian in einen hell erleuchteten Raum schickte. Dort kippte dieser den Kübelinhalt in einen großen Trichter.
    „Wasser und Chlor“, sagte der Schließer. „Na, machen Sie schon.“
    Sebastian beeilte sich und lief dann mit dem Kübel zurück

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