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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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der hat doch“, warf Olaf ein, „wie du selbst gesagt hast, schon Aussagen in dieser Richtung gemacht.“
    Sebastian schüttelte wiederholt den Kopf. „Ich weiß nicht, wovor der Angst hat.“
    „Na, vor fünfzehn Jahren Zuchthaus könnte ich mir vorstellen“, erklärte der Drogist nachdrücklich.
    „Straffreiheit.“ Sebastian stieß die Luft verächtlich durch die Nase, „so was erzählen die doch bloß, um die Leute klein zu kriegen.“
    Olaf hob die Schultern. „Wer weiß?“
    Sebastian blieb vor ihm stehen. „Also du meinst“, sagte er, „ich sollte jetzt den Spieß umdrehen.“
    Olaf nickte.
    „Und meinem Freund alles mögliche unterstellen …“
    „Vielleicht nicht alles mögliche“, sagte der neue Zellenkumpel, „aber ihm zuvorkommen, ihn austricksen, wenn der dich schon ganz offensichtlich in die Pfanne hauen will.“
    „Will der doch gar nicht.“
    „Wieso bist du da so sicher?“
    „Und woher weißt du’s umgekehrt?“
    „Vermute ich bloß. Ich kenne deinen Fall und deinen Freund ja nicht. Du mußt natürlich selbst wissen, wie du die ganze Sache drehst. Aber gutgläubig auf Freunde zu hoffen hilft bestimmt nicht weiter, wenn die schon gequatscht haben.“
    Dieser Drogist sagte Sachen, die Sebastian nicht gerne hören wollte. Noch schob er vage Vermutungen von sich. Er hatte dem Neuen auch gesagt, daß er erstaunt sei nun schon so lange nicht mehr zum Verhör geholt worden zu sein.
    Nach drei Tagen stoppten dann wieder Schritte auf dem Gang direkt vor ihrer Zellentür. Sebastian kribbelte die Kopfhaut unter den langen Haaren und Schweiß sickerte sogleich wieder aus den Achselhöhlen. Schloß und Riegel krachten, die Türe flog auf und der Schließer nannte die Nummer seines Zellengenossen. Sebastian atmete tief durch. Andererseits beunruhigte es ihn aber auch, daß man ihn ganz offensichtlich bewußt warten ließ.
    „Kommen Sie!“
    Der Drogist aus Kamenz verließ die Zelle. „Gehen Sie!“, hörte Sebastian noch die Stimme des Schließers auf dem Gang. Er sah diesen Olaf nie wieder. Zuerst hatte er noch geglaubt, der sei nur zum Verhör geholt worden. Aber Rias hörten doch sehr viele in der DDR, überlegte er. Öffentliches Forum in der eigenen Wohnung … Und wenn man dem nun Straffreiheit versprochen hatte und er weiter seine Drogerie behalten durfte … Ich habe dem doch nichts gesagt … Wenn das ein Spitzel gewesen ist, dann ist er erfolglos geblieben.
    Draußen war es wärmer geworden, die Schneekante am Fenster war verschwunden. Sebastian fror auch nachts nicht mehr so an Armen und Schultern. Doch wenige Tage vor Weihnachten klarte das Wetter wieder auf und damit kam auch die Kälte zurück. Gleich nach dem Wecken griff er an die Blechverkleidung der Heizung: natürlich kalt. Nach der Kübelleerung, dem Waschen im Finkennäpfchen und dem frugalen Frühstück nahm er schleunigst das Laufen der Achten wieder auf. Ihm war klar, würde er nur auf der Pritsche sitzen bleiben, könnte er krank werden.
    Im Fenster stand ein anderes Morgenlicht als an den Tagen davor und entwickelte sich zu einem dunklen Blau, das in den Rillenglasscheiben glitzerte. Dann schickte die Sonne ihr Licht gegen die graugrüne Zellenwand. Schließlich schob sich über diese Wand ganz allmählich der Schattenriß eines hohen Schornsteins und rückte wie ein riesiger Zeiger Millimeter um Millimeter voran. Im Prinzip eine Sonnenuhr, meinte Sebastian. Die ganze Erde drehte sich durch seine winzige Zelle, phänomenal, sagte er sich. Dann sah er zu, wie dieser Schatten um die Ecke über den Kübel kroch.
    Als er sich weiter schob und über das kurze Stück Wand bis zur Tür vorgerückt war, hörte er durch den Lichtschacht das Krachen und Schurren der metallenen Essenskübel, wahrscheinlich im Keller, wenn sie die dort über den Betonboden zerrten. Bald erschnüffelte er auch den üblichen Kohlgeruch. Dann beobachtete er wieder den Schatten, wie er die Türrahmung aus rotlackiertem Backstein erreichte, um darüber hinweg in den Türspalt zu kriechen. Eingeritzt in die Backsteine hatte er russische Namen entziffern können, kyrillische Buchstaben. Das war ohne weiteres durch den roten Lack hindurch zu erkennen.

    66.

    Hans-Peters Zelle bei der Stasi im alten Cottbusser Landgericht glich mehr einem Wohnzimmer mit Bett, Schrank, Tisch, Stuhl, Stehlampe und Waschbecken, sogar ein Teppich lag auf dem Boden und Gardinen zierten das große, aber vergitterte Fenster, durch das man auf die Spree und das kahle Geäst

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