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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Schwester Karin war so zum Kern einer von Pfarrer Kunzmann neu gegründeten „Jungen Gemeinde“ gestoßen. Sie erzählte ihrem Bruder vom Sohn des Pfarrers. „Politisch denkt der wie wir“, sagte sie. Sebastian blieb skeptisch. „Junge Gemeinde? Kenne ich nicht. Pfarrer, Kirche und Gemeinde sind nicht meine Welt.“
    „Totila ist aber schwer in Ordnung und Pfarrer Kunzmann erst, der würde dir gefallen.“
    Nach einigem Drängeln hatte Sebastian sich mit einem Kirchenbesuch einverstanden erklärt. Es war an einem Sonntag, ein paar Tage, bevor er mit Hans-Peter wieder nach Westberlin fahren wollte, um wie verabredet Hoffmann zu treffen.
    „Da ist er“, seine Schwester wies dazu auf den Eingang der Kirche.
    Sebastian sah einen Jungen in einer dunkelbraunen Jacke, frierend, die Hände in den Hosentaschen. Als sie näher kamen blickte er in ein Gesicht mit leichter Stupsnase und blauen Augen unter kurzen, glatten, blonden Haaren. Sebastian war ja nicht eben ein Riese, aber als er vor Totila stand, überragte er den doch fast um Kopfeshöhe. Totila grinste, als er Sebastians Schwester erkannte.
    „Na, hast du ihn doch mitgeschleppt?“ sagte er und gab Karin und Sebastian die Hand.
    „Das war gar nicht so leicht“, sagte sie , „der wollte durchaus nicht“, und dann zu Sebastian mit einer Handbewegung: „Das ist Totila, von dem ich dir erzählt habe.“
    „Tja,“ sagte Sebastian, als er Totila die Hand schüttelte und mit dem Kopf Richtung Kirchentüre wies: „Ich war schon lange in keiner Kirche mehr.“
    „Vielleicht ein Fehler?“ fragte Totila und lachte.
    „Weiß ich nicht. Kommt ja darauf an.“ Zusammen betraten sie dann die Kirche. Die Bänke im Kirchenschiff waren voller Menschen.
    „Erstaunlich“, Sebastian blieb unvermittelt stehen, sah Totila an und wies mit der Hand in den vollbesetzten Raum.
    Der nickte. „Wir gehen auf die Empore, von dort oben sieht man besser, erkennt diejenigen leichter, die mitschreiben.“ Sie setzten sich ganz vorn an die Balustrade, alle drei nebeneinander.
    „Mitschreiben?“ fragte Sebastian schließlich, „was denn mitschreiben?“
    „Na, Auszüge aus der Predigt, das ist doch üblich“, sagte Totila, als er in Sebastians erstauntes Gesicht blickte. „Das war auch in Belzig schon so. Wir kennen das.“ Dann wies er nach unten. „Da sitzt ja schon der erste, ein alter Bekannter. Und da rechts“, Totila erhob sich leicht und blickte über die Brüstung, „ganz hinten im schwarzen Mantel der nächste. Paß mal auf, wie die mitkritzeln, ist lustig. Ich kenne die Predigt ja und weiß genau, an welchen Stellen die ihre Blöcke zücken werden.“
    „Ist das nicht gefährlich mit solchen Spitzeln?“
    „Die verdächtigen Stellen in der Predigt kannst du so oder so auslegen. Die Leute da unten in den Bänken verstehen das genau, kommen ja auch deswegen her. Und die Partei- und Stasibonzen ärgern sich. Die schreiben da unten mit und trotzdem haben sie nichts in der Hand.“
    Sebastian lehnte sich leicht über die Brüstung, blickte nach unten, nach vorn zum Altar und hoch zur Decke, von der wagenradgroße goldene Leuchter weit herabreichten. Er hörte vereinzelt Stimmen, und das Scharren vieler Füße auf großen Terrakottaplatten hallte von unten herauf, Husten und Hüsteln...Dann Pfarrer Kunzmann im Talar, der zur Empore blickte und Sohn Totila, der mit ausgestrecktem Zeigefinger zweimal nach unten wies. Schließlich volle Orgelakkorde und durch bunte Kirchenfenster brach sich das trübe Tageslicht in wunderschönen Farben. Die Predigt des Pfarrers wurde von allen Besuchern gespannt verfolgt, kein störender Laut war zu vernehmen. Sebastian bemerkte viele der Anspielungen gar nicht und andere verstand er nur halb. Seine Bibelkenntnisse, stellte er fest, ließen wohl zu wünschen übrig. Daß hier Kenntnisse gänzlich überflüssig seien war ja eigentlich immer seine Meinung gewesen. Totila gegenüber hielt er damit aber hinter’m Berg und tat so, als ob er das meiste verstanden hätte.
    Dieser lud die Geschwister nach dem Gottesdienst zu sich nach Hause ein. Sie gingen gemeinsam die wenigen Meter über die Straße. Das Pfarrhaus lag hinter einem schmiedeeisernen Zaun in einem großen Garten, von vielen Bäumen und Büschen umgeben, die jetzt kahl aus schmutzigem Schnee ragten und blickte aus großen Verandafenstern zur Straße. Sie betraten das Haus.
    Totila führte die Geschwister über eine Treppe in sein Zimmer. Sehr einfach eingerichtet, stellte

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