Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Sebastian fest. Ein größeres Bücherregal, nicht ganz ausgefüllt. Ob die Bücher alle ihm gehörten? Dann ein einfacher alter Schreibtisch, vollgeräumt, mit einem Stuhl davor, drei weitere Stühle um einen kleinen runden Tisch mit geblümter Decke gruppiert. Ein Bett, ein abgetretener Teppich und ein schmaler, hoher, ein wenig ramponierter grüner Kleiderschrank. Von der Decke baumelte eine Lampe mit einem Schirm aus gelbem Stoff. Der Blick durch’s Fenster zwischen rotweiß gestreiften Gardinen ging über einen Hof auf ein anderes Gebäude in einiger Entfernung. Ein großes Haus, dieses Pfarrhaus, auf einem ausgedehnten Grundstück, stellte Sebastian fest.
„Wie viele Zimmer hat das Haus denn?“
„Neben dem Wintergarten sieben Zimmer in zwei Ebenen“, erklärte Totila, „zwei Bäder, Gästetoilette, Boden und Keller. Und“ , setzte er lachend hinzu, „im Garten eine Sommerlaube.“
Sebastian trat ans Fenster und sah in den verschneiten Hof hinunter. Dort gab es noch einige Nebengebäude. „Ist ja eine komplette Villa“, sagte er und drehte sich zu seiner Schwester und Totila um.
„Viel zu groß für uns, meinen Vater und mich. Zu ihrem Ärger können die uns vom Gemeindeamt aber niemanden reinsetzen. Das Haus gehört der Kirche.“
„Ganz gut, daß es Eigentum gibt, das die nichts angeht.“ Sebastian knöpfte seine Jacke auf. „Schön warm hier.“
„Werksfernheizung“, erklärte Totila, „zieht Mantel und Jacke aus und setzt euch aufs Bett oder die Stühle dort.“
Die Geschwister folgten der Aufforderung, warfen ihre Sachen über’s Bett und setzten sich an den kleinen runden Tisch.
„VEB Tatkraft heizt reaktionäres Pfarrhaus“, sagte Sebastian.
Totila lachte. „Wollt Ihr ein Bier?“ fragte er, nachdem er sich gesetzt hatte und gleich wieder aufgesprungen war.
„Am Vormittag schon?“
Totila winkte ab. „Oder Limonade?“ Er rannte die Treppe hinab und kam auch gleich wieder herauf mit Gläsern und Limonadenflaschen unterm Arm.
Sebastian staunte, als Totila die Flaschen auf den Tisch stellte und studierte die Etiketten. „Wo gibt’s denn die?“
„HO in Senftenberg“, sagte Totila. „Schmeckt gut und das sind übrigens Kronkorken“, erklärte er und holte aus der Schreibtischschublade eine Kombizange. „Damit kriegt man die auf.“
Sebastian betrachtete und befühlte den Flaschenverschluß. „Hab’ ich noch nie gesehen – das sind ja wirklich kleine Kronen. Die gibt’s hier sonst nirgends.“ Und er sah zu, wie Totila die drei Flaschen mit der Zange öffnete. „Kann man die wieder verwenden?“
„Nee, die kannst du nur noch wegschmeißen.“
„Sag mal“, fragte Sebastian schließlich, „Oberschule – wie bist du eigentlich dahin gekommen?“
„Wie hin, was meinst du?“
„Na, auf die Oberschule, also überhaupt... Ich meine, dein Vater ist Pfarrer. Ich hatte nämlich keine Chance. Kontingent erfüllt hieß es damals. Ich wundere mich bei dir …“
„Da hast du Pech gehabt. Es gibt nämlich kein Gesetz, daß Kinder bürgerlicher Eltern nicht auf Oberschulen dürfen, aber man hält sie schon sehr gerne draußen, das stimmt. Eine nicht ganz ausgeschriebene Vorschrift oder ein sozusagen ungeschriebenes Gesetz. Bei mir war das anders – also der Vater Pfarrer, das war sogar mein Vorteil“, versuchte Totila zu erklären. „Ein Pfarrer nämlich, der kein Unbekannter in der Westberliner Kirchenleitung ist . Das war’s.“
„Verstehe schon“, sagte Sebastian, „der eine darf, da haben die Schiß, der andere nicht …“
„In Willkürsystemen“, erklärte Totila, „kann man sich auf nichts berufen. Aber nicht jeder merkt das gleich, immer nur der gerade Betroffene.“
„Stimmt“, bestätigte Sebastian, „bei uns wimmelt’s ja nur so von Gleichheit und gleichen Rechten.“ Totila lachte. „Ein richtiges Wort am falschen Ort und du bist fort.“
„Ich weiß“, Sebastian grinste. „Schnell schaut man dann durch schwedische Gardinen. Gegen Willkür ist jeder machtlos, weil man Fakten nicht beim Namen nennen darf, als richtiges Wort am richtigen Ort, wie du sagst. Der Ort ist dann nämlich immer falsch, wenn das Wort richtig ist. Wer spricht da noch von Meinungsfreiheit. Und dann will dein Vater hier wieder eine Junge Gemeinde aufbauen?“
Totila sah sich diesen Sebastian an, wie er dort vor ihm im Stuhl saß, die Arme nach hinten über die Rückenlehne gelegt, mittelblondes Haar reichte tief ins Genick, ein schmales Gesicht, graue Augen
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