Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
der Baum geriet langsam aus seinem hochgewachsenen Gleichgewicht, um schließlich durch andere Baumkronen krachend in einer mächtigen Schneewolke dumpf auf den Boden zu schlagen.
„Was werden die anderen Bäume sich dabei denken“, fragte Sebastian und drehte sich, den Kopf im Nacken und die Skimütze aus der Stirn geschoben, einmal um sich selbst.
„Die Mörder sind unter uns“, sagte Nuglisch grinsend.
„Glaubst du, daß die nicht merken, was hier los ist?“
„Du stellst vielleicht komische Fragen. Bäume können nicht denken und reden schon gar nicht. Das ist doch hier keine Märchenstunde.“
„Ich glaube, du wirst doch nochmal Förster“, sagte Sebastian.
„Dein Wort in Gottes Ohr“, meinte der Freund.
Was tue ich hier eigentlich, überlegte Sebastian und sah sich dazu den zertrampelten Schnee ringsum an, die Haufen abgeschlagener Kiefernzweige, die zersägten Stämme überall im Wald und die Kollegen, die näher und ferner eifrig beim Sägen und Hacken waren. Aber Märchen, überlegte er, die können wahr werden und Wünsche und Träume...Er hatte es ja schon erlebt … Eben hatte er dieses Gefühl des Unwirklichen wieder gehabt. Dann schüttelte er die nachdenkliche Stimmung energisch ab und machte sich am nächsten zur Fällung gezeichneten Stamm zu schaffen. Der Arbeitskollege bestimmte inzwischen die günstigste Fallrichtung. Den Kopf im Nacken umkreiste er den Baum und suchte die größte Lücke zwischen den verschneiten Kronen. Sebastian folgte mit den Blicken dessen ausgestrecktem Arm und schlug mit der Axt an entsprechender Stelle am Stamm, dicht über dem Boden, nachdem er mit dem Schuh dort den Schnee weggeschoben hatte, die Fallkerbe. Darin war er Spezialist, das schaffte er mit höchstens vier Axthieben in das helle Holz des Baumes, das dann immer stark harzig und ganz leicht säuerlich roch. So riecht wohl die Angst der Bäume, dachte er, wenn das Leben sie verläßt. Natürlich sagte er das alles nicht laut. Mit seinem Arbeitskollegen verstand er sich recht gut, und das wollte er nicht über Gebühr auf die Probe stellen. Auch wenn der nicht alles gleich ausposaunte, sollte er ihn dennoch nicht für einen ausgemachten Spinner halten, soweit er das nicht ohnehin schon tat, neckend und gutmütig. Das sollte auch so bleiben.
13.
An diesem Nachmittag stand, als er aus dem Wald nach Hause kam, auf seinem Aufgabenzettel an der Scheibe des Küchenschranks: Einkaufen. Alle Geschwister hatten so einen Zettel am Schrank, der bei der großen Familie abzuarbeiten war. Hier einzukaufen erwies sich immer als mittelschwere Aufgabe. Als er sich gewaschen und umgezogen hatte, vor allem die klobigen Schnürschuhe los geworden war, machte er sich mit mehreren Taschen am Fahrrad auch gleich auf den Weg, nachdem er sich zuvor vergewissert hatte, daß er Lebensmittelkarten und Geld bei sich trug. Den jüngeren Geschwistern konnte man ein derart vollgepacktes Rad nicht zumuten, als das es sich nach dem Einkauf zumeist erwies, allerdings nicht immer, denn man wußte schließlich nie, was es gerade mal wieder nicht gab von dem, was auf dem Einkaufszettel und den Lebensmittelmarken stand. Wozu man bei der ganzen Zuteilung auch noch Geld benötigte, leuchtete Sebastian nie ganz ein, denn mehr als auf den Marken stand, konnte man sowieso nicht kaufen, Geld hin, Geld her. Klar, in HO-Läden, davon gab es in Großräschen auch schon einen, bekam man manches und das kostete dann wirklich Geld, das in der erforderlichen Menge kaum jemand hatte. Im HO-Laden mußte Sebastian Nährmittelprodukte dazu kaufen, Nudeln vor allem, Makkaroni... denn die Zuteilung an Einkellerungskartoffeln für die Familie ging bereits zur Neige.
In der Kiste im Keller befanden sich nur noch Reste an welken Knollen, alle mit so langen rötlichen Keimen. Dem alljährlichen Mangel sollte nun mit Teigwaren abgeholfen werden. Auch Butter gab es auf Marken nur ganz selten, denn als Fettzuteilung galt ja auch die feste, talgige, fast schon bröcklige Margarine. Wer Butter wollte mußte schon mal tiefer ins Portemonnaie langen und dazu die HO beehren. Auf dem Einkaufszettel stand auch Gemüse. Sebastian mußte lächeln. Gemüse stand schließlich auf jedem Einkaufszettel. Seine Mutter wollte die Hoffnung nie aufgeben, daß auch im Winter irgendwann irgendein Gemüse zu bekommen sein würde. Und Sebastian hatte ja auch schon mal ein paar Mohrrüben ergattert, zwei Kohlrüben und einmal sogar einen großen Weißkohlkopf. Das alles war
Weitere Kostenlose Bücher