Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Lange sprachen sie gar nichts.
„Wenn wir nun öfter weg müssen und wahrscheinlich auch mal über Nacht bleiben... also, ich weiß nicht“, unterbrach Hans-Peter schließlich das Schweigen, „da werde ich zu Hause so’ne Liebesbeziehung auftischen müssen. Was meinst du?“
„Weiß ich nicht“, sagte Sebastian. „Es könnte ja sein, daß sie deine Phantomgeliebte irgendwann mal sehen wollen. Was dann? Ich für mich werde abwarten und mir dann noch was ausdenken.“
„Also, meine Alten bohren garantiert sehr bald“, erklärte Hans-Peter, „das ist klar wie Kloßbrühe.“
Dann sahen beide wieder zum Fenster hinaus. Draußen zogen schneebedeckte Felder und Wälder vorüber, das bläuliche Morgenlicht wandelte sich allmählich in graues Tageslicht. Zwischendurch hielt der Zug noch einige Male an ländlichen Stationen, deren Bahnsteige nur ganz notdürftig vom Schnee befreit waren. Wenn der Zug dann nach kurzem Halt langsam wieder anfuhr, knarrte der Waggon zuerst leise, bis schließlich die Schienenstöße wieder gleichmäßig den Takt angaben und die Telefondrähte draußen entlang der Strecke von Mast zu Mast schwangen. Hin und wieder zog ein Brückengeländer vorüber oder irgendein Schild. Manchmal rückte der Wald ganz nahe heran, Bäume und Büsche huschten dicht am Fenster vorbei, dann wieder weite weiße Flächen, die sich auftaten und bis an Waldstücke reichten, die in der Ferne gemächlich vorüberzogen. Ein immer anderer Blickwinkel, ständig verschoben sich die Perspektiven, in der Nähe ganz rasch und in der Ferne allmählich. Sebastian wirkte ein wenig weggetreten, sah aber diesem Spiel zu als erblickte er es zum ersten Mal. Welches Bild dort draußen ist wirklich, welche Perspektive real, welche die einzig wahre? In jeder Sekunde ist alles anders, ist alles wahr und auch wieder nicht. Jeder andere, der hier neben ihm aus dem Fenster blickte, sähe ein anderes Bild, sehr ähnlich, aber eben doch anders. Wer will diese sich ständig verschiebende Welt wirklich erkennen? „Was ist real“, fragte Sebastian laut.
Hans-Peter sah ihn verwundert an. „Du spinnst“, sagte er, „wir fahren höchst realen Ereignissen entgegen. Überleg’ dir lieber, wie wir uns verhalten sollen.“
„Was heißt verhalten, was meinst du damit? Sicherheit gibt’s nicht“, und Sebastian lehnte sich auf der Sitzbank zurück, die dabei ein wenig quietschte. „Ich weiß auch nicht, was sein wird“, sagte er, „lassen wir uns einfach überraschen. Mit Überraschungen werden wir es noch öfter zu tun bekommen.“
„Wahrscheinlich öfter als uns lieb sein wird.“
„Angst?“ fragte Sebastian und sein Lächeln ging dabei in ein offenes Grinsen über.
Hans-Peter sah ihn an. „Angst“, sagte er, „ist keinesfalls immer der schlechteste Ratgeber.“
„Zuviel Angst aber“, und Sebastian grinste weiter, „zuviel Angst kann auch dazu führen, daß man Fehler macht. Das ist nicht gut“, und dazu schüttelte er den Kopf. Auch das Grinsen verließ sein Gesicht so plötzlich, als sei es weggewischt worden.
Die weitere Fahrt verlief glatt. Der Anschlußzug aus Cottbus nach Königswusterhausen traf sogar pünktlich in Lübbenau ein. Sie hatten dort nur fahrplanmäßige zehn Minuten warten müssen, so daß sie schon gegen Mittag das verabredete Lokal in der Königsallee betraten.
„Mir ist so, als wären wir erst gestern hier gewesen“, sagte Hans-Peter lachend.
„Stimmt.“ Sebastian nickte.
Beide steuerten ganz selbstverständlich auch gleich den selben Tisch in der Nähe der Fenster an, von dem aus man die Eingangstür im Blick hatte.
„Toll! Der ist frei“, freute Hans-Peter sich.
Sie erkannten auch den Ober wieder. Und vom selben Stuhl aus sah Sebastian den Autoverkehr auf der glattgefahrenen Königsallee, die selben Häuser, verschneite Dächer... so daß er fast schon glauben konnte, so manches Auto dort draußen wiederzuerkennen. Es war das unwirkliche Gefühl einer völligen Wiederholung, wenn auch nur für wenige Augenblicke, so als sei die Zeit, die dazwischen vergangen war, einfach ausgefallen. Sebastian ließ sich dann an der Theke des Lokals das Telefon geben, um Hoffmann anzurufen. Er sei in einer halben Stunde da, ließ der verlauten.
„Na, ich bin ja gespannt“, meinte Hans-Peter. Beide hatten sich Kartoffelsalat und Wiener Würstchen bestellt. Sie waren ja seit dem frühen Morgen unterwegs und jetzt war es Mittag.
„Ob Hoffmann das bezahlt?“
„Wir hätten uns natürlich auch
Weitere Kostenlose Bücher