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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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unvorhersagbares Glück, mit dem man nie rechnen durfte und in den Konsumläden schüttelten die Verkäuferinnen denn auch nur hoffnungslos mit den Köpfen bei Sebastians Fragen nach irgendeinem Gemüse. Kartoffeln gab es außerhalb der Einkellerungszuteilung sowieso nie. Sebastian kam sich schon bei der Frage nach Gemüse dumm vor, von Obst ganz zu schweigen. Wenn da nicht die paar Äpfel und Birnen aus dem eigenen Garten gewesen wären, hätte man von Obst kaum je etwas gewußt.
    Vor Jahren noch war Sebastian mit Freunden in fremden Gärten, die nicht bewacht waren, nachts Pflaumen und Kirschen, auch Pfirsiche und Birnen klauen gewesen. Jetzt kam ihm das allmählich zu dumm vor. Wie lange sollte denn einer noch Kirschen klauen müssen, um das Bedürfnis nach Vitaminen zu stillen. Im Sommer gab es ja manchmal Salat im Konsum oder auch Kirschen, doch wenn man zufällig davon erfuhr, standen bereits Menschenschlangen von sechzig, siebzig Metern Länge vor dem Geschäft, so daß die Chance, etwas von der seltenen Ware zu ergattern zumeist gleich Null war. Häufig passierte es einem auch, daß man nach stundenlangem Anstehen mit ansehen mußte, wie einem der letzte Salatkopf oder das letzte Pfund Kirschen dicht vor der Nase weggekauft wurde – Pech gehabt. Schluß, alle, geht nach Hause. Entwürdigend diese Sinnlosigkeit, diese organisierte Bettelei. Daß man für Geld nicht mal einen Salatkopf bekommen konnte, Geld, für das Menschen schwer arbeiten mußten, war schlicht beleidigend, war Mißachtung der Arbeit, Mißachtung des Menschen. Im Westen, Sebastian kannte ja nur Westberlin, verfügten die Leute auch nicht eben über viel Geld, aber dafür gab es dann wenigstens alles. Man konnte wählen und entscheiden und hatte die Qual der Wahl – eine ganz angenehme Qual immerhin gestand Sebastian sich ein, auch wenn in den Zeitungen im Osten das Gegenteil stand, von Not und Armut im Westen die Rede war, von Arbeits- und Obdachlosigkeit, von Ausbeutung und Zukunftslosigkeit.
    So mit sich und dem, was er als Zumutungen empfand hadernd und schimpfend war er über Konsum, HO und wieder Konsum schließlich in einem Fleischerladen gelandet. Davon gab es noch private. Das etwas undefinierbare zettrige Fleisch auf Marken mochte sich für einen Erbseneintopf eignen, von dem seine Mutter gesprochen hatte. Die Wahl zwischen drei Sorten Wurst fiel auch nicht schwer, waren ja noch Fleischabschnitte für Februar auf den Marken, und Sebastian entschied sich für je ein Stück von allen drei Wurstsorten. Da sage noch einer man könne nicht wählen, mokierte er sich.

    14.

    Zwei Wochen vergingen wie im Fluge. Morgen schon, am Sonntag, würden sie sich mit Hoffmann im selben Lokal in der Königsallee treffen. Auch dieser Sonntag war dann wieder ein frostig kalter Tag. Überall lag der vom Brikettstaub ergraute Schnee, als Sebastian am frühen Morgen, die Hände tief in den Taschen, zum Bahnhof ging. Grauer Schnee und grauer Himmel zusammen wirkten deprimierend empfand Sebastian, als er seinen Freund Hans-Peter traf. Der sah im graublauen Licht des heraufziehenden Morgens noch richtig verschlafen aus. „Du siehst ganz grau aus“, stellte Sebastian fest.
    „Falls du dir einbildest, du siehst aus wie das blühende Leben, irrst du gewaltig.“
    „Es ist noch die Frage, wer von uns grauer aussieht. Ich habe schrecklich schlecht geschlafen“, sagte Sebastian.
    „Ich auch“, und der Freund zog fröstelnd die Schultern in seiner etwas engen Jacke mit den etwas zu kurzen Ärmeln zusammen. Beide gingen die paar Schritte über den Bahnhofsvorplatz.
    „Ich habe meinen Alten erklärt“, sagte Hans-Peter, „wir sind in Senftenberg im Heimatmuseum und abends, habe ich gesagt, gehen wir dort noch ins Tanzcafe’.“
    „Glauben die das denn, deine kulturellen Ansprüche so plötzlich? Und Heimatmuseum – wie kommst du darauf?“
    „Weiß ich nicht. Fiel mir nur so ein.“
    Der Personenzug nach Lübbenau fuhr ein, die Lok dampfte zischend, Bremsen quietschten, der Zug stand. Türen wurden aufgerissen, Menschen stiegen aus und ein, unangenehm laut schrillte die Trillerpfeife des Bahnhofsvorstehers. Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Die beiden saßen sich müde auf zwei Fensterplätzen in einem leeren Abteil gegenüber, nur das eintönige Schlagen der Schienenstöße im Ohr. Sebastian sah, den Kopf zurückgelehnt, durchs Fenster den auf- und abschwingenden Telefondrähten nach, während Hans-Peter vor sich hin zu Boden starrte.

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