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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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wenn es mal welche zu kaufen gab, fehlten die Einweckgummis, die man nur im Westen bekam. Und wenn die Kartoffeln zu Ende gingen, würden die Brotrationen auf Lebensmittelkarten schon gar nicht reichen. Und Brot in der HO dazuzukaufen wäre finanziell dauerhaft einfach nicht durchzuhalten. Die schlimmsten Monate waren immer die des Frühsommers. Im Garten gab es noch nichts und zu kaufen auch nichts, weder Kartoffeln noch Gemüse und alle Vorräte waren so gut wie aufgebraucht.
    Auch Sebastian waren diese jährlichen Notlagen wie allen in der Familie hautnah bewußt. Ging es doch darum, Mangelkrankheiten möglichst fernzuhalten. Der Garten erwies sich dabei als überlebenswichtig. Und so wurde neben allen Geschwistern auch Sebastian immer wieder dazu vergattert, dort umzugraben oder- eine schlimme Arbeit meinte er- Johannisbeeren zu pflücken, oder auch Kohlweißlingsraupen von Kohlblättern zu sammeln. Alle Geschwister hatten Zettel mit ihren Namen an den Scheiben des Küchenschranks, auf denen jeder die von ihm zu verrichtenden Arbeiten verzeichnet fand: Hühner, Karnickel und Ziege füttern, Ställe ausmisten, dreißig Zentner Briketts in den Keller schaffen, Holz hacken, im Sommer Gras für Ziege und Karnickel suchen, usw. Aber auch Briketts aus dem Keller in die Küche bringen, Asche in die Aschkute über den Hof schaffen und immer wieder einkaufen bei Rauch im Konsumladen am Ilseberg und bei Fleischer Müller neben ‚Drei Linden’ oder direkt in Großräschen-Mitte, je nachdem wo man gerade was bekam, denn längst nicht überall konnte man kaufen, was auf den Lebensmittelkarten stand. Seit längerem schon hatte es nirgendwo mehr Butter gegeben, aber auch Margarine bekam man dann nicht in jedem Konsumladen, nicht mal ohne Marken in der HO. Also mußte meist kreuz und quer mit dem Rad durch den Ort von Laden zu Laden gefahren werden. Essen auf den Tisch zu bringen lag jedes Mal wie eine Zentnerlast auf den Schultern seiner Mutter. Dann gab es manchmal auch nur eine Brotsuppe oder Mehlplinsen, zu denen die Pfanne mit einer alten Speckschwarte eingerieben wurde. Seine Großmutter hatte auch schon mal eine Stearinkerze dazu benutzt. Eines Tages kam dann Parafak auf, ein milchigweißes synthetisches Kohlefett in Gläsern, zuerst nur in Apotheken und Drogerien erhältlich, später auch in Konsumgeschäften. Zunehmend fielen Kinder durch fettige Hosenböden und fettglänzende Waden auf, doch die Leute wußten Bescheid, niemand wunderte sich. Hier demonstrierte Parafak schlicht seine durchschlagende Wirkung.

    20.

    In Westberlin hatte Hoffmann die beiden Freunde nach ihrem Anruf in ein anderes Lokal in der Nähe ihres alten Treffpunkts bestellt. Zuvor hatten sie auftragsgemäß ihre Adressensammlung aus Halle und Görlitz an drei verschiedene Anschriften in Ostberlin geschickt. Diese Sammlung hatte Hoffmann bei sich und zog sie aus der Seitentasche seines Mantels.
    „Hoffentlich können Sie das alles selber lesen“, sagte er, indem er die Zettel auf den Tisch des Lokals packte und mit der flachen Hand ein paarmal glatt strich. „Also in Halle und Görlitz waren Sie“, sagte er und nickte den beiden zu, „das ist überprüft.“
    „Haben Sie uns denn nicht geglaubt?“ und Sebastian blickte dabei erstaunt zu Hoffmann über den Tisch.“
    „Das müssen Sie schon verstehen“, erklärte der, „so genau kennen wir Sie schließlich nicht oder noch nicht“, fügte er hinzu. „Zuverlässigkeit ist das A und O auch im Sinne Ihrer eigenen Sicherheit. Nun aber zu etwas anderem“, fuhr er fort. „Ich habe ein Hotelzimmer für Sie reserviert, hier ganz in der Nähe, da können Sie ungestört arbeiten. Briefumschläge gebe ich Ihnen noch, die müßten Sie dann dort mit diesen Namen hier beschriften, um Broschüren zu verschicken.“ Dazu legte er seine breite Hand mit den kräftigen Fingern auf die mitgebrachten Zettel. „Frankieren natürlich mit Briefmarken von drüben und das Ganze dann auch dort einwerfen. Ostgeld“, und er klopfte mit den Händen seine Manteltaschen ab, „Moment“, er suchte schließlich in seiner Brieftasche, „also Ostgeld gebe ich Ihnen auch gleich, sowie Ihr Fahrgeld und Spesen, wenn Sie was essen wollen.“ Dazu legte er einige große Ostgeldscheine auf den Tisch. „Stecken Sie’s schnell weg, es muß niemand sehen“, und er schob das Geld unter der Hand Sebastian zu.
    Der steckte es in die Seitentasche seines Jacketts.
    Hoffmann erhob sich. „Kommen Sie, ich bringe Sie ins Hotel.

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