Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
der HO. Die Berliner HOs sind aber relativ gut versorgt. Du weißt doch, wie’s dagegen bei uns aussieht. Dort kriegst du ja nicht mal’n Stück Butter. Und dieser Spruch vom klugen Westberliner, der ist doch eine Sauerei, ich meine, der eigenen Bevölkerung gegenüber.“
„Das soll aber jetzt nicht unsere Sorge sein“, erklärte Sebastian. „Wir müssen überall noch die Marken draufkleben.“ Dabei wies er auf einen großen länglichen Karton in einer Ecke des Zimmers. „Strippe liegt drin“, sagte er. „Da sollen wir die frankierten Briefe reinstapeln, zubinden, mit rübernehmen und dann in Briefkästen verteilen. Wir müssen dort irgendeine Ecke finden, wo wir diese Kiste hier auspacken können.“
„Und dann sollen wir dort wohl mit Briefstapeln in den Händen rumrennen und Briefkästen suchen?“
„Was fragst du mich? Denk selber nach. Wozu hast du zum Beispiel Mantel- und Jackentaschen?“
„Ist ein ziemlich großer Kasten“, meinte Hans-Peter, als sie endlich die Briefe verstaut und den Karton zugebunden hatten. „Ziemlich auffällig“, sagte er. „Wir dürfen im Osten damit bloß nicht unsicher wirken.“
„Richtig. Stell dir vor“, warf Sebastian ein, „die lassen uns die Kiste hier aufmachen.“
„Das will ich gar nicht erst denken“, wehrte Hans-Peter ab.
„Möglich ist alles“, sagte Sebastian grinsend. „Du weißt ja, hinter Ihnen steht einer, hinter Ihnen geht einer, dreh’n Sie sich nicht um.“
„Hör mit dem Blödsinn auf, das ist kein Spaß!“
„Mach dir nicht gleich in die Hose“, winkte Sebastian ab.
Er nahm ein Taschentuch in die Hand, als er das Paket an den Strippen aufhob. „Verdammt schwer“, murrte er. „Also los jetzt, wir müssen den Zug ja noch kriegen. Übrigens“, fügte er hinzu, „wenn die mich mit dem Paket hier anhalten sollten – ich glaub’s zwar nicht, aber wenn es sein sollte, dann gehst du natürlich weiter. Wir kennen uns nicht. Und dann nichts wie zurück zu Hoffmann. Nach Hause kannst du dann nicht mehr und müßtest im Westen bleiben, wenn du nicht auch in den Knast willst, egal, was die dir später versprechen.“
„Heh, heh“, rief Hans-Peter halblaut im Treppenhaus des Hotels, „da kann man ja direkt Angst kriegen. Bist du vielleicht Hellseher?“
„Quatsch! Aber möglich ist schließlich alles und einer muß das Paket doch tragen – willst du es?“ Und Sebastian stellte seinem Freund den Karton an der Hoteltür vor die Füße.
„Nee, nee, lieber nicht“, sagte der und wich einige Schritte zurück.
Sebastian lachte. „Das beißt hier doch nicht.“
Dann mußten sie ein ganzes Stück laufen und Sebastian wechselte einige Male das schwere Paket von einer Hand in die andere. Unter dem Arm trug er das in HO-Papier eingewickelte Oberhemd. „Du könntest das Paket hier auch mal ‘ne Weile tragen“, sagte er.
„Aber nur bis zur S-Bahn“, erklärte Hans-Peter.
„Also mit deinem Schiß gehst du im Osten am besten ein Stück vor oder hinter mir, damit wir nicht auffallen.“
„Was heißt denn Schiß“, fragte Hans-Peter pikiert. „So ungefährlich ist das alles nicht.“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Also, wenn das so ist, dann bleibst du besser gleich zu Hause. Ungefährlich ist das wirklich nicht, das siehst du völlig richtig. Vorsicht ist gut, Angst aber kann, ein alter Hut, verhängnisvoll sein, das weiß doch jeder. Die Frage ist, stinken wir gegen diese Bonzen bei uns an oder lassen wir’s, wie die ganz vielen, die heimlich schimpfen und sich dabei zehnmal umgucken, damit sie auch ja keiner hört.“
Am Bahnhof Zoo stiegen beide aus, weil Hans-Peter sich bei Jänner am Zoo ein Fahrtenmesser kaufen wollte, eins mit Hirschhorngriff in einer Lederscheide.
„Willst du damit Bleistifte anspitzen?“, fragte Sebastian grinsend.
„Nö, an so’n Messer dachte ich immer schon“, dazu sah er sich dort im Laden die blanke Klinge und den knorrigen Hirschhorngriff regelrecht verliebt an. „Ist doch toll, findest du nicht?“ Dabei drehte er das Messer in der Hand hin und her. „Das nehme ich.“ Hans-Peter bezahlte und ließ das Messer samt Lederscheide in der Manteltasche verschwinden.
Nach der unterbrochenen S-Bahn-Fahrt mußten sie sich neue Fahrkarten kaufen. An den Schaltern in der Halle war viel Betrieb, sie mußten anstehen. Sebastian fuhr erschreckt auf, als ihm jemand von hinten auf die Schulter tippte. Er sah sich um, ein Mann in Zivil hielt ihm einen Ausweis unter die Nase.
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