Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
„Zollfahndung“, sagte der und wies dann auf das Päckchen mit der HO-Aufschrift unter Sebastians Arm. „Haben Sie das im Osten gekauft?“
Sebastian nahm das Päckchen in die Hand. „Ja, sicher“, sagte er, „steht doch drauf“, und er drehte es so, daß man die Aufschrift gut lesen konnte.
„Was ist da drin?“
„Ein Oberhemd.“
„Das müssen wir beschlagnahmen.“
Sebastian fühlte sich mehr als ungerecht behandelt. Da setzte er sich großen Gefahren aus und jetzt wollte man ihm auch noch das teuer erstandene Hemd wegnehmen. „Nein“, sagte er, „damit bin ich keineswegs einverstanden. Schließlich sind wir ja aus dem Osten. Und der Personalausweis hier bestätigt das auch.“
„Na schön“, sagte der Zollbeamte, ein zweiter stand neben ihm, „dann müssen Sie eben mitkommen.“
„Wohin?“
„Ins Präsidium.“
„Wir sind zu zweit.“
„Dann kommen Sie halt beide mit.“
Als Sebastian den verschnürten Karton aufnahm, beguckten ihn die beiden Beamten mißtrauisch. „Was ist denn da noch drin?“
„Briefumschläge.“ Befürchten mußten sie hier letztlich nichts, überlegte Sebastian, aber die Zeit würde knapp werden, wollten sie den letzten Zug noch erreichen. Was durften sie dem Zoll erzählen, ging es ihm durch den Kopf, indes sie beide in einen vor dem Bahnhof geparkten zivilen Wagen stiegen. Die Fahrt führte sie quer durch die Stadt, alles unbekannte Gegenden für sie.
Die beiden Beamten hielten sich merklich zurück. Ganz beiläufig sagte der eine, daß er gespannt sei, was die im Präsidium sagen würden. Gemeint war eindeutig der Abtransport der beiden ostdeutschen Schmuggler mit dem HO-Hemd, das sie nicht rausrücken wollten und dem gut verschnürten Karton, in dem sich Briefumschläge befinden sollten – sehr merkwürdig das alles.
Das Geheimnis des verschnürten Kartons, da waren die beiden Freunde sich einig, wollten sie möglichst nicht lüften. Könnte es nicht auch Stasi-Spitzel unter den Westberliner Zöllnern geben? Ganz blöde Unannehmlichkeiten durch dieses dämliche HO-Papier. Aber schon komisch, daß die hier was gegen HO-Sachen hatten … Der kluge Westberliner kauft schließlich in der HO. Aber sie waren ja aus der Zone, nicht mal Ost- geschweige denn Westberliner. Wieso können die einem einfach ein HO-Hemd wegnehmen, wenn man damit nur mal nach Westberlin fährt? Das hatte Sebastian vom Westen nicht erwartet und auch Freund Hans-Peter schwieg merklich pikiert. Hatten sie bisher doch stets geglaubt, beschlagnahmt, weggenommen und eingezogen... das gäbe es nur im Osten. Und nun dies!
In einem Büro des Präsidiums mußten sie warten. Einer der Zöllner, die sie hergebracht hatten blieb mit im Zimmer, stand am Fenster und blickte hinaus.
Die Freunde saßen auf zwei Stühlen vor einem Schreibtisch. Der Blick aus dem Fenster zeigte die Front der Wohnhäuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Schließlich trat ein höherer Beamter, so schien es jedenfalls, in Begleitung zweier weiterer Zivilisten ins Zimmer. „Sie also sind die störrischen jungen Leute“, wandte er sich den beiden zu , die aufgestanden waren. „Sie können ruhig sitzen bleiben“, sagte er und wies dann auf den verschnürten Karton, der neben Sebastians Stuhl auf dem Boden stand. „Und dort haben wir die ominöse Kiste mit dem Briefpapier.“
„Wir sind ja wegen des HO-Hemds hier“, erklärte Sebastian, „das man mir wegnehmen will. Weshalb eigentlich?“
„Na, wollten Sie es nicht verkaufen?“
„Ich habe es für mich gekauft. Warum sollte ich es dann weiterverkaufen?“
Der Beamte winkte ab. „Das kann schließlich jeder sagen, wir kennen das zur Genüge.“
„Was mich interessiert“, warf Hans-Peter ein, „warum hätte man so ein Hemd nicht verkaufen dürfen? Nicht, daß wir es wollten, aber was spräche eigentlich dagegen?“
„Was dagegen spricht? Schlicht und einfach, die Ost-West-Grenze, zwei unterschiedliche Wirtschafts- und Währungsbereiche. Weshalb glauben Sie, sind wir hier als Zollbehörde aktiv?“
„Also darf man mit Sachen aus dem Osten nicht nach Westberlin fahren?“
„Mit Sachen schon, wenn Sie die am Leibe tragen.“
„Also zum Beispiel drei Hemden übereinander...“
„Das können wir nicht überprüfen.“
„Aber Sie glauben doch nicht“, sagte Sebastian, „daß ich mit diesem Einwickelpapier aus der HO nach Westberlin gefahren wäre, wenn ich das Hemd hier hätte verkaufen wollen.“
„Was ich glaube oder auch nicht ist
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