Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
die Spitzel nicht auch noch im Garten erwischen.“
Hans-Peter stimmte ihm zu: „Aber“, meinte er, „dann darfst du auch nicht zum Treffen mit dem Kreisjugendpfarrer.“
„Hab’ ich versprochen. Ach, verdammt, mir ist kalt“, und Sebastian schüttelte sich, die Hände tief in den Hosentaschen, das Genick eingezogen. „Gehen wir wieder rein.“
Pfarrer Kunzmann erzählte dann noch von der Jungen Gemeinde in Belzig. „Wir hatten dort einige hundert Mitglieder und machten Ausflüge, zogen dabei mitten durch die Stadt“, erzählte er. „Da waren wir der FDJ natürlich ein Dorn im Auge. Die machten gegen uns mobil, marschierten in Uniformen mit FDJ-Wimpeln am Pfarrhaus vorbei.“ Der Pfarrer lachte in Erinnerung an das Geschehen damals. „Wir hatten da gerade ein kleines Gartenfest. Also eine Provokation. Der Fehdehandschuh wurde aufgenommen. Die Junge Gemeinde marschierte vollzählig am FDJ-Haus der Jugend vorbei, als die dort eine Versammlung abhielten. Wir hatten welche, die Trompete spielten, andere hatten Trommeln. Unter Gesang und Trompetenklang zog die Junge Gemeinde Belzig dort vorbei. Einer hatte eine Fahne gemalt, schwarzer Grund mit einem schönen weißen Kugelkreuz.
FDJ-Mitglieder lauerten Junge-Gemeinde-Mitgliedern auf, es kam zu Handgreiflichkeiten. Ich als Pfarrer war da ja nirgends direkt beteiligt, aber die FDJ-Kreisleitung beschwerte sich bei mir und warnte mich, ich solle darauf achten, daß es nicht zu Hetze und Verleumdungen komme. Gemeint waren natürlich Boykotthetze und Staatsverleumdung. Sind alles Sondertatbestände in der DDR-Verfassung, mit hohen Zuchthausstrafen belegt. Das waren schlicht Drohungen. Dann wurde auch“, erzählte der Pfarrer weiter, „die CDU-Kreisleitung bei mir vorstellig – ich bin da ja Mitglied“, erklärte er. „Man warnte und mahnte mich auch dort. Natürlich, das paßte SED und FDJ nicht ins Konzept, die Junge Gemeinde mitgliederstärker als die FDJ. Nee, das durfte nicht sein!
Und dann die Leitung der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, das Konsistorium in Westberlin … Die Versetzung von Belzig nach Großräschen. Na ja, man nannte das nicht Strafversetzung. Zu meiner Sicherheit, sagten die“, und Pfarrer Kunzmann schüttelte dazu den Kopf, „zu meinem Schutz. Eine Schutzhaft gibt’s ja, warum nicht auch so was wie eine Schutzversetzung?“ Dazu grinste er und das sah, meinte Sebastian, ein klein wenig kläglich aus.
Nun schüttelte Sebastian den Kopf und sagte, „das kriegen Sie hier in Großräschen nicht so hin, das mit der Jungen Gemeinde. Die hat’s hier, glaube ich, überhaupt noch nicht gegeben, weder hier in Süd, noch in Mitte. Das ist ein Industrienest, Großräschen, eine Kulturwüste. Das sagt meine Mutter, ich glaube schon, die hat recht. Sowas wie ‘ne Verbannung für Sie“, dazu sah er den Pfarrer an.
„Möglich“, sagte der und nickte, „durchaus möglich.“
„Wieso war denn die Jugend dort in Belzig so zu begeistern, also für die Kirche?“
„Du hast schon recht, junger Freund“, sagte der Pfarrer, „das war dort eine andere Bevölkerung, eine mehr bürgerliche, wenn man so will. Aber ein Industrienest“, und er nickte Sebastian zu, „das ist eben proletarisch.“
„So manche Leute hier schimpfen aber auch auf die Regierung – unter sich natürlich.“
„Die Mehrheit“, antwortete der Pfarrer, „die Mehrheit ist indifferent, auch wenn geschimpft wird.“
„Und in Belzig nicht?“
„Belzig? Ja, Belzig war wenigstens teilweise anders, bildungsbürgerlich sagt man wohl, auch noch nach zwölf Jahren Proletarisierung durch die Nazis. Na und hier in Großräschen“, der Pfarrer wiegte den Kopf, „da war diese bürgerliche Schicht wohl schon immer sehr dünn? Ein Industrienest eben“, sagte er und lachte Sebastian zu.
„Ich weiß nicht“, mischte Hans-Peter sich ein, „proletarisch, das wird so abwertend gesagt. Gemeint sind doch alle Lohnabhängigen, also unsere Eltern“, und er wies dazu mit der Hand auf Sebastian und sich. „Und auch ein Pfarrer ist doch ein Lohnabhängiger.“
„Ja, ja“, warf der Pfarrer ein, „das ist aber zu kurz gesprungen. Proletarier“, erklärte er, „darunter verstanden schon Marx und auch Lenin die Handarbeiter. Und auch heute macht man ja noch einen Unterschied zwischen Arbeitern und Intelligenz, also Hand- und Kopfarbeitern. Dazu“, und er wies mit der Hand auf Sebastian, „gehört beispielsweise sein Vater.“
„Ja, und ich hab’s auszubaden“,
Weitere Kostenlose Bücher