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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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man schon versichern.
    „Das ist es ja“, hörte er den Pfarrer wieder, „solche Kettelhuts sollte es viel öfter geben. In Belzig“, und Sebastian war es, als klinge da ein klein wenig Wehmut durch, „in Belzig gab’s die, mehrere“, sagte er.
    „Belzig ist eine Stadt“, versuchte Sebastian eine Erklärung, „und Großräschen ist doch bloß so ein Ort, kein Dorf, keine Stadt, ein Ort eben.“
    „Tja, junge Freunde“, sagte der Pfarrer, schüttelte den Kopf und richtete sich in der Couch auf, als müsse er Erinnerungen verscheuchen, „so wie es ist, ist es eben. Man will mich stillegen, ja, schlicht ausbooten. Und hier kann man wohl keinen Aufruhr mehr auslösen. Und gerade das, also Ruhe, täte meinem angeschlagenen Herzen gut, sagen die bei der Kirchenleitung.“
    „Aber die Kirche ist doch immer gut besucht am Sonntag“, warf Hans-Peter ein und Sebastian bestätigte das nickend.
    „Na ja, die Leute sind neugierig, aber das hat keine Folgen. In der Jungen Gemeinde kommen wir über die paar Mitglieder nicht hinaus. Politisch ist das hier tot. Wozu sollte ein Aufruhr, wenn er überhaupt möglich wäre, wozu sollte der hier gut sein?“
    „Wie sollte sowas denn überhaupt aussehen?“ wollte Sebastian wissen.
    „Ich meine das nur in übertragenem Sinne“, erklärte der Pfarrer, „keinen Aufstand. Sowas könnte nur in einer Katastrophe enden. Ich denke da eher, die Menschen sollten sich zurücknehmen, sollten diesen Verführern nicht auf den Leim gehen, den Schalmeienklängen nicht trauen, so als Aufruhr nach innen, innerer Widerstand.“
    „Gut, das wäre schön, natürlich, aber die Leute, die sind auf diese Rattenfänger leider angewiesen... und andere streben nach guten Posten.“
    „Ich weiß, ich weiß“, bestätigte der Pfarrer, „man kann sowas eben nur ganz langfristig anlegen, steter Tropfen muß den Stein höhlen, das kann lange dauern. Aber jeder Tropfen tut auch seine Wirkung, das sollte man nicht unterschätzen, also, das ist schon richtig, da hast du recht, mein Freund“, und er nickte Sebastian zu. „Man kann nicht verlangen“, sagte er, „daß alle Leute Helden werden, schon ihrer Familien wegen nicht, die immer auch als Geiseln greifbar bleiben. Ja, ja, das weiß ich natürlich als Pfarrer, also, da hab’ ich schon Schicksale kennengelernt, ganz schlimm“, sagte er wieder etwas nachdenklicher, indem er sein Limonadenglas auf die Schnittstelle sich kreuzender Streifenmuster in der Tischdecke zu zirkeln versuchte. „Es gibt das Recht, ja, sogar die Pflicht“, fuhr er fort und sah die beiden an, „auf Widerstand in Despotien. Das weiß auch die Kirchenleitung, ganz klar, doch die verhalten sich da diplomatisch politisch.“ Der Pfarrer drehte nachdenklich sein Glas auf der Tischdecke und sah dann wieder die Freunde an. „Das ist eben Kirche“, erklärte er, „Kirche in einem willkürlich gespaltenen Land. Kirche im Kalten Krieg, so nennt sich das wohl.“
    „Aber es gibt doch auch Leute“, warf Hans-Peter ein, „die hier eine neue Zeit heraufziehen sehen, eine helle antifaschistische Zukunft in Frieden und Wohlstand für alle, wie es in vielen dieser Lieder heißt.“
    „Ein politisch Lied, ein garstig Lied“, und der Pfarrer schüttelte sich. „Ich weiß nur nicht, ob das Heine oder jemand anders aus seiner Zeit gesagt hat.“
    „Aber Kirchenlieder sind doch auch politisch oder vielleicht tendenziös“, erklärte Hans-Peter.
    „Nicht politisch, sondern christlich. Kirche und Staat, das ist doch in christlich geprägten Ländern seit langem nicht mehr dasselbe. Es gibt hier nicht die Diktatur eines Gottesstaates.“ Und der Pfarrer sah die beiden, den Kopf gesenkt, mit gerunzelter Stirn von unten her an. „Aber“, sagte er, „es gibt die Diktatur einer Ideologie, die vom Staat nicht getrennt der Staat selber ist, in der leben wir hier.“ Er richtete sich auf in der Couch, dicht vor verhängten Fenstern im gelblichen Lichtschein der Stehlampe und ballte die Hände zu Fäusten, das runde Gesicht unter kurzen, einst blonden, nun schon etwas grau schimmernden schütteren Haaren gerötet. „Das sind Verbrecher“, stieß er schließlich hervor, „Satrapen eines gottlosen Systems. Die Mörder sind bereits wieder unter uns!“
    Es war spät geworden, Pfarrer Kunzmann blies schließlich zum Aufbruch. „Der eine muß morgen früh in die Schule, der andere in den Wald“, sagte er lachend, „also machen wir für heute Schluß, meine Freunde, ein andermal

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