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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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    Sebastian und Hans-Peter streiften sich Joppe und Jacke über und bedankten sich für Bewirtung und gute Gespräche. Gerne würden sie wiederkommen, wenn der Pfarrer mal wieder Zeit hätte.
    Draußen war es kühl und es nieselte leicht. Die beiden spürten das prickelnd in den erhitzten Gesichtern. Sie gingen, die Hände tief in den Taschen, die Kragen hochgeschlagen, nebeneinander her die Ilsestraße entlang, an der Schule vorbei, die in Sebastian noch immer schlimme Empfindungen wach rief, vorbei an den Arbeiterhäusern, den Werkshäusern mit den weiten Gärten davor, über die Werkbahngleise, an der Ziegelei und der gegenüberliegenden Brikettfabrik vorbei, aus der auch nachts das Klack-klack-klack der Pressen erscholl. Im trüben Schein der weit auseinander stehenden Straßenlaternen konnte man den Regen als feinen Staub erkennen.
    Wie würde das Wetter am nächsten Tag sein, überlegte Sebastian. Würden sie weiter Kiefern pflanzen oder würde er bei stärkerem Regen in Revierleiter Nagels Büro sitzen?
    Hans-Peter wiederum überlegte, ob er die Mathearbeit am Montagmorgen nicht besser schwänzen sollte. Überhaupt Schule! Also, ohne Schule... da gibt’s attraktive politische Posten, da muß man nur gut quatschen und die Windungen der Parteilinie voraussehen. Die Windungen der Parteilinie... das hatte sein Vater gesagt. Aber jetzt steht er mit seinem Freund auf der anderen Seite – da gibt’s sicher auch Chancen, also politische. Ich muß nicht unbedingt weiter zur Schule, jedenfalls morgen nicht, sagte er sich. Morgen würde er krank sein. Beide sprachen auf dem Weg nur wenig miteinander, jeder war mit eigenen Gedanken beschäftigt.
    „Der ist gut, der Pfarrer Kunzmann“, sagte Sebastian schließlich nach längerem Schweigen. „Und ausgerechnet Großräschen! Der paßt doch gar nicht in dieses Nest.“
    „Die haben ihn hierher verschaukelt“, bestätigte Hans-Peter. „Die Kirche wollte keinen Ärger und hier kann er kaum welchen machen.“
    „Das weiß er ja auch“, ergänzte Sebastian. Ausgebootet sagt er dazu. Aber Aufruhr? Hier in Großräschen kriegt er da nichts hin mit einer Jungen Gemeinde. Und wozu auch? Das gibt nur Angriffsfläche. Da hat die Kirchenleitung vielleicht sogar recht.“
    „Und du fährst dorthin zum Kreisjugendpfarrer …“
    „Hab’ ich versprochen!!“
    „Wir könnten ihm ja sagen, was wir da politisch machen“, sagte Hans-Peter.
    „Ja, aber erstmal mit Hoffmann sprechen. Ich glaube ja auch, unsere Arbeit für den Westen ist hier wirkungsvoller als auf eine Junge Gemeinde zu bauen, die nicht kommen wird, jedenfalls nicht im Belziger Umfang.“
    Dann erreichten sie die Kreuzung Thälmannstraße am Ilse-Verwaltungsgebäude mit dem Türmchen auf dem Dach und der Uhr darin, die ihn früher auf dem Schulweg immer zur Eile getrieben hatte. Links der Ilseberg, die Kleinpflasterstraße nach Senftenberg, die sie als Kinder mal im Handwagen sitzend, mit der Deichsel steuernd heruntergerast waren. Schräg gegenüber das Restaurant Kaiserkrone, das auch zur ‘Ilse’ gehörte und jetzt ‘Tatkraft’ hieß und der Kaufladen Rauch. Schließlich ein Stück die Thälmannstraße hinab das Postamt und dann bald auch schon das Haus, in dem Hans-Peter wohnte.
    Sebastian kam noch an ‘Drei Linden’ vorbei. Durch die Ritzen zugehängter Fenster blinzelte Lichtschein. Dort sitzt wieder die Truppe beisammen, überlegte Sebastian, nur der Zimmermann wird fehlen, der arbeitet wieder in Berlin an der Stalinallee. Und dort, bei der letzten Straßenlaterne über der Thälmannstraße blickte aus der Dunkelheit auch das Haus, in dem Sebastian wohnte, leicht angeleuchtet hervor – aus den Herrenzimmerfenstern der Wohnung im ersten Stock fiel noch Licht. Dort saß seine Mutter sicher wieder am Schreibtisch und mühte sich damit ab, die Zerstörung der alten Lausitzer Landschaft durch den Braunkohletagebau zu beschreiben.
    Diese Zerstörung war ja nicht erst mit der DDR über das Land gekommen. Der Anfang lag über hundert Jahre zurück. Viele uralte Straßen- und Runddörfer waren seitdem verschwunden. Es gab Alleen alter Bäume, die abrupt endeten. Schon als Kind war ihm ganz eigenartig zumute gewesen, wenn diese Straßen statt in einen Ort einfach ins Nichts führten und danach mit Kiefern, Birken und Erlen bewachsenes, unbegangenes Gelände begann. Alte Namen tauchten manchmal noch auf, wie etwa der des vor fast hundert Jahren verschwundenen Dorfes Reppist. Weit über tausend Jahre

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