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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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Irgendwann hatten wir so viele Tage gefehlt, dass es schwer war, dem Unterricht zu folgen. Na ja, es gab ja immer noch das nächste Semester.
    In der Zwischenzeit fanden wir andere Orte, an denen wir unsere Energie bündelten. Für unsere Gruppe war Fiefs Wohnung der Dreh- und Angelpunkt in unserem Viertel. Sein Vater arbeitete den ganzen Tag, und seine Mutter lebte nur zeitweise da, also schwänzten wir alle dort gemeinsam die Schule. Dort fand ich heraus, dass, wenn ich bereit war, einfach herumzusitzen und gar nichts zu tun, es jede Menge Leute in meinem Alter gab, die bereit waren, genau dasselbe zu tun. Diese fest eingeplante, sorgenfreie, wöchentlich gemeinsam verbrachte Zeit wurde für uns alle zur Routine. Ich war noch nie glücklicher gewesen.
    In dieser Zeit verließen wir uns sehr aufeinander und waren eine kleine Familie, frei von Verurteilungen und klar definierten Rollen. Sams unkonventionelle, stets ungehaltene Art stand im Mittelpunkt. Und zwischen Myers exzentrischen Gesprächsthemen, Bobbys Humor, Fiefs Gastfreundschaft und meiner Zuneigung und Bewunderung für sie alle trafen wir uns. Bobby, Sam und ich waren das Herzstück. Von da aus erweiterte sich der Kreis nach außen und beinhaltete eine Reihe von Namen, die kamen und gingen: Myers, Fief, Jamie, Josh, Diane, Ian, Ray, Felice und viele andere. Wir nannten uns »Der Pulk«, und gemeinsam ließen
wir einen Tag in den nächsten übergehen, mehr oder weniger ereignislos. Wir saßen barfuß in Fiefs Wohnung herum, deren Wände mit Graffiti bedeckt waren, wechselten uns beim Reden und Schlafen ab, aber am meisten lachten wir hysterisch alle zusammen.
    Weil wir Sorge hatten, den Gastgeber in Schwierigkeiten zu bringen, kam es selten vor, dass jemand in der Wohnung, in der wir die Schule schwänzten, Drogen nahm. Allenfalls rauchte mal jemand Gras in einem der hinteren Zimmer oder im Treppenhaus. Was mich betraf, stießen mich Drogen und Alkohol komplett ab, und ich wollte weder mit dem einen noch dem anderen etwas zu tun haben. Teilweise hatte es mit all dem Leid zu tun, das ich bei Ma und Daddy gesehen hatte, teilweise aber auch mit dem, was Ma einmal zu mir gesagt hatte. In meiner Kindheit hatte sie mich öfter mal, wenn ihr Rausch schwächer wurde, mit einem ernsten Blick bedacht, der mir unvergessen ist. Sie weinte dann und flehte mich an: »Lizzy, bitte werde niemals high, meine Kleine. Das hat mein Leben ruiniert. Du brichst mir das Herz, wenn du dich jemals zudröhnst. Nimm niemals Drogen, okay, Liebes?« Angesichts der getrockneten Blutspritzer auf ihrem Arm, ihrer vor Sorge fiebrigen Augen und ihrer liebevollen Stimme war das wahrscheinlich die wirksamste Antidrogenbotschaft, die man mir mit auf den Weg geben konnte. Also dröhnte ich mich niemals zu, nicht ein einziges Mal. Und abgesehen von einigen harmlosen Sticheleien durch meine Freunde, ich sei wohl Anhänger der Straight Edge , lehne also Drogen, Alkohol und Tabak ab, setzte mich auch nie jemand unter Druck. Außerdem hatten wir andere Dinge, mit denen wir uns bestens amüsierten.
    Während andere Kinder ihr analytisches Denken und Schreiben fortentwickelten und sich Rechnen und naturwissenschaftliche Fakten aneigneten, führten wir unsere eigenen Experimente durch. Etwas in der Art wie: ein Löffel voll Wasser, das auf eine glühend heiße Herdplatte gegossen wird, zerspringt in kleine, hörbar weghüpfende Perlen. Und wenn man eine Glühbirne in eine Mikrowelle
legt – fünf Minuten lang geht in Ordnung –, produziert sie stroboskopartiges Licht in Neonpink, Grün und Orange. Willkürlich zusammengestellte Mischungen aus Fiefs Küchenschrank waren nicht immer zum Verzehr geeignet. Mit Wasser gefüllte Luftballons, mit hoher Geschwindigkeit aus offenen Fenstern geworfen, führten zu einige Minuten dauernden, unkontrollierbaren Lachanfällen. Jeder gemeinsam verbrachte Tag umhüllte uns mit einer weiteren Isolierschicht gegen die geschäftige Welt um uns herum, und meine Erfahrungen wurden noch reicher durch meine Liebe zu Bobby und Sam.
    Dennoch, an irgendeinem Zeitpunkt des Tages, holte Mas Krankheit mich in die Wirklichkeit zurück, zurück in die schale, träge Atmosphäre in Bricks Wohnung. Es gelang mir, alles für ein paar Stunden wegzuschieben, bevor Bilder des vorherigen Tages wieder laut Einlass forderten. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht zurückkehrte, um Ma zu helfen, würde sie zusammengebrochen auf der Türschwelle zum Schlafzimmer einfach liegen bleiben; sie wäre

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