Als der Tag begann
überwunden hätten.
Eines Tages, als Carlos gerade einen alten Freund besuchte, einen kräftigen Typen, den sie im Viertel Mundo nannten, gaben Sam und ich ungefähr zehn Dollar, die er im Motel zurückgelassen hatte, für ein paar Einkäufe aus.
Wir wollten uns billig ein bisschen verschönern. Sam hatte zwei Fläschchen Glitzernagellack ausgewählt und eine überdimensionierte Dose Haarspray. Auf die Ratschläge einer Teen-Zeitschrift hin, die wir auf der Heizung im Bad deponierten, hatten wir auch vier No-Name-Päckchen Getränkepulverkonzentrat à la Kool-Aid erstanden und versuchten jetzt – allerdings erfolglos –, uns die Haare leuchtend violett und pink zu färben.
»Sieht man was?«, fragte ich Sam und hob meinen Kopf aus dem Waschbecken.
»Äh, keine Ahnung. Ich glaube, ich kann ein bisschen Lila erkennen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das nicht an meiner Fantasie liegt. Und bei mir?« Beim Anblick der pinkfarbenen Wasserbäche, die ihr das Gesicht hinunterliefen, sich zwischen den Augen durchschlängelten und ihr von der Nasenspitze tropften, lachte ich laut auf. Ihre gesamte Kopfhaut, die durch ihre vier Zentimeter langen Haare klar sichtbar war, leuchtete in einem knalligen Pink.
»Du siehst fantastisch aus«, sagte ich sarkastisch.
Das Einzige, was wir erfolgreich einfärbten, waren unsere Haut und unsere ursprünglich weißen T-Shirts, die durch die zahlreichen Spritzer wie gebatikt aussahen.
Wir ruhten uns aus, ließen Haare und Fingernägel trocknen und sahen uns, während wir auf Carlos warteten, Wiederholungen
von I Love Lucy an. Es wurde sechs Uhr. Acht. Eins. Vier Uhr morgens. Ich hatte die Idee, ihn auf dem Handy anzurufen, aber dann stellte ich fest, dass er sich nie die Mühe gemacht hatte, mir oder Sam die Nummer zu geben. Carlos beglich jeden Abend an der Rezeption die Rechnung für den folgenden Tag, und ich war mir sicher, dass er nicht im Voraus bezahlt hatte. Ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn er nicht bis morgen Mittag zur Abreisezeit wieder da wäre. Ich blickte die ganze Nacht aus dem Fenster und fragte Sam wieder und wieder, ob sie glaube, ihm könnte etwas zugestoßen sein.
»Klar, seine Mutter hat ihn als Baby auf den Kopf fallen lassen, das ist ihm zugestoßen. Mach dir keine Sorgen, er ist nicht in Gefahr, sondern einfach nur ein Arschloch.«
Am nächsten Morgen rief ich an der Rezeption an und bat den Motelbesitzer, uns nicht hinauszuschmeißen, und erklärte ihm, dass Carlos jede Minute zurückkommen würde, um zu bezahlen.
»Ich hab die Schnauze echt voll von Typen, die ihre Nutten hier ablegen. Das ist kein Bordell!«
»Wir sind keine Prostituierten!« Ich war richtig wütend. »Er ist mein Verlobter«, log ich.
»Das hier ist ein Unternehmen, Lady, keine Drogenoase und auch kein Puff. Zahlt oder raus mit euch.« Damit legte er auf.
Wir schacherten mit ihm und verwendeten dafür das einzig wertvolle Stück in greifbarer Nähe: eine goldene Uhr, die sich Carlos an dem Tag, als ich bei Ma war, zugelegt hatte. Die Kälte drang durch meine Klamotten – ich hatte mir Pullis als Schal umgewickelt – , als ich mit Sam im Schlepptau hinunter zur Rezeption ging.
Ich machte die Person der grässlichen Diskussion am Telefon ausfindig, einen zu kurz geratenen, stämmigen Italiener um die fünfzig. Er sah sich die Uhr von allen Seiten genau an und hielt sie ins Licht. »Dafür könnt ihr bis morgen bleiben.«
»Aber er hat hundertfünfzig dafür bezahlt, sie ist nagelneu«, protestierte ich.
»Tja«, sagte er und ließ die Uhr in die Seitentasche seines Rucksacks gleiten, der auf seiner Seite hinter der Plexiglasscheibe stand, »die ist keinen Pfifferling wert. Ich tue euch nur einen Gefallen.«
Als es wieder Abend wurde, klappten wir vor Hunger fast zusammen. Also holten wir den Mülleimer hervor und durchwühlten ihn nach irgendwelchen essbaren Resten der letzten Tage. Wir teilten uns gummiartige Hamburger, Erdbeerkuchen mit abgelaufenem Verfallsdatum und ein seltsam riechendes Truthahnsandwich. Das Wasser aus dem Badezimmerhahn schmeckte wie die reinste Giftbrühe. Stundenlang rasten Sam und ich abwechselnd von der Toilette zum Fenster. Durch das verdorbene Essen rumorte es heftig in meiner Bauchgegend, und mir war schlecht, egal, wo ich mich aufhielt.
Bei Sonnenaufgang ließen wir uns endlich auf Carlos’ und mein Bett fallen und blickten von dort aus auf den erleuchteten Parkplatz hinunter. Immer müder werdend, beobachteten wir, wie die
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