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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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durch die Gegend, hielten aus einer Laune heraus an, wann und aus welchem Grund auch immer es uns gerade gefiel. An der Grand Central Station, damit wir uns auf dem Boden ausstrecken und auf die mit Sternen verzierte gewölbte Decke der Haupthalle starren konnten; an Chinatowns Videospielhalle, damit Carlos uns beweisen konnte, dass da wirklich ein Huhn in einer Maschine gefangen war, das mit dir Drei gewinnt spielte. Dann peilten wir einen Fotoautomaten
an und machten dreimal Schnappschüsse in Schwarz-Weiß: wir alle drei mit irren Grimassen und nachdenklichen Gesichtern sowie ein ganzer Streifen, auf dem ich Carlos küsse, seine weichen Lippen auf meinen spüre, während die Wärme des Blitzlichts durch meine geschlossenen Augen auf unsere Profile fällt.
    Er ist gut, beteuerte ich mir selbst. Er liebt mich wirklich , auch wenn es ihm schwerfällt, es mir zu zeigen. Vergiss nicht, wie sich das hier anfühlt … Es fühlte sich himmlisch an, der Kuss, diese gemeinsam verbrachte Nacht – Carlos’ Zauberkräfte waren mal wieder am Werk.
    Unsere letzte Taxifahrt in dieser Nacht brachte uns zum White-Castle-Drive-in auf der Fordham Road, gerade als am Himmel die ersten Streifen des Morgenlichts auftauchten. Wir wollten uns nur Milkshakes holen, aber Carlos bestellte zu unserer Überraschung fünfzig Hamburger. Wir fuhren im Zickzack über die Webster Avenue, den Grand Concourse und den Broadway und schmissen die warmen Hamburger aus dem Fenster auf parkende Autos, Briefkästen und heruntergezogene Ladengitter. »Juhu!«, brüllte Carlos bei jedem Hamburger, den er losfliegen ließ.
    Zurück im Motel, streckten wir uns aus, noch eine volle Tüte Hamburger neben uns. Ich schlief in Carlos’ Armen ein, was seit der Nacht, in der wir zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, nicht mehr passiert war. Ich schlang meine Arme um seine Brust, schmiegte mich an ihn und suchte seinen Herzschlag. Er gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn. »Ich hab’s dir versprochen, Kleeblatt, wir heitern dich auf. Morgen will ich wieder ein Lächeln in diesem Gesicht sehen, sonst müssen wir das nächste Mal mit nacktem Hintern losziehen.« Aus Sams Bett kam ein hysterisches Kichern. Ich war wieder voll und ganz von Carlos bezaubert – von seinen Küssen, seinem Geruch und seinem Talent, mich abzulenken und weit von meiner anwachsenden inneren Leere wegzuziehen.

    In den folgenden drei Wochen sagte ich mir ständig, ich würde Ma besuchen. Ich wollte das wirklich, aber es wurde schwer, sich nicht durch lauter Kleinigkeiten davon abbringen zu lassen, zum Beispiel dadurch, dass ich Carlos zu einem Besuch bei einem Immobilienmakler überredete, wo wir endlich Formulare ausfüllten und Termine für Wohnungsbesichtigungen festlegten. Wir wollten ein Apartment mit zwei Schlafzimmern in einem ruhigen Wohnhaus in Bedford Park, genau wie wir es geplant hatten, nichts, was zu sehr an ein Getto erinnerte. In der Zwischenzeit versuchte ich, unsere Zimmer so wohnlich wie möglich zu gestalten. Ich machte unsere Betten und schlug die Laken unter die Matratzenecken, genauso wie es die Zimmermädchen getan hatten, als wir gerade eingezogen waren. Aber weil wir die Einrichtung der Zimmer immer demolierten, hingen jetzt dauerhaft »Bitte nicht stören«-Schilder an den Türen. Sam half mir, den Müll zu entsorgen, pro Person mehrere Fast-Food-Container täglich. Als wir mal an dem Laden an der Ecke hielten, nahm ich eins von diesen Duftdingern für die Steckdose mit, Duftnote Potpourri, für einen Dollar neunundachtzig.
    Ich brachte mit Kaugummi unsere Chinatown-Fotos am Motelspiegel an, gleich neben den Zettelchen mit Liebeserklärungen, die ich Carlos geschrieben hatte. Ich verfasste gleich noch eine neue, verzierte den Rand mit Herzchen, die ich rot ausmalte, und klebte das Papier neben unsere Bilder.
    Carlos,
mit Dir zusammen bin ich glücklicher als je zuvor.
Du bist mein Lebensinhalt, und Du warst für mich
da, als es besonders wichtig war, Du hörst mir zu,
Du schenkst mir Deine Schulter zum Anlehnen, und
Du brachtest mich zum Lachen, als mir alles so
sinnlos vorkam.
Ich liebe Dich von ganzem Herzen.
Liz

    Jeden Tag schrieb ich Carlos solche Liebesbriefe. Aber im Lauf dieser paar Wochen im Motel veränderte sich der Tenor meiner Zeilen von Dankbarkeit und Zuneigung hin zu Worten, die ausdrückten, wie sehr es sich doch lohne, für unsere Beziehung einzutreten und sie zu retten, und wie glücklich ich sei, dass wir unsere Probleme

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