Als der Tag begann
meisten von ihnen hatten Geld; das erkannte ich an ihren Urban-Outfitters-Taschen, dem teuren Schmuck, den hochwertigen Trekkingschuhen und Birkenstock-Schlappen. Aber wenn es ihnen gefiel, ihre Vorstellung von Armut in ihrem persönlichen Stil zum Ausdruck zu bringen – meinen Segen hatten sie.
Nicole erklärte uns, wie der Job laufen würde. Nach nachmittäglichen Briefings über die Fortschritte ihrer letzten Umweltkampagne würden wir Akquisiteure (wie wir ab jetzt hießen) fünf Tage die Woche von Mitarbeitern der Organisation zu acht in einen Bus gepackt und zum Spendensammeln in zentrale Gegenden des Staates New York gefahren. Unser Job bestand darin, an Türen zu klopfen und ganz normale Bürger dazu zu bringen, sich beim Kampf der NYPIRG gegen Krebs zu engagieren, der laut einer Studie, mit der Nicole während ihres Geschwafels herumwedelte, mit dem wahllosen Versprühen von Pestiziden in Wohngebieten zusammenhing. NYPIRG machte gerade lebhafte Lobbyarbeit, um einen Gesetzesentwurf namens Neighborhood Notification Bill durchzubringen. Als Akquisiteure würden wir vor der Haustür der Leute stehen und versuchen, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, indem wir ihnen vortrugen, was wir auf unseren Nachmittagssitzungen gelernt hatten. Dann würden wir sie einladen, sich uns im Kampf gegen Krebs durch eine »Mitgliedschaft« anzuschließen, was schlichtweg bedeutete, dass wir um Geld baten. Und unser Verdienst war eben ein Prozentsatz dessen, was wir sammelten. Auf dem Weg in die Wohngebiete wurden wir mit Kopien der Hauptforschungsstudie ausgestattet, zusammen mit Klemmbrettern und vorläufigen Ausweisen.
Im Bus gen Norden auf dem Henry Hudson Parkway war ich mir plötzlich sicher, dass es ein Fehler war, hier mitzumachen. Jeder probte seinen Text, den wir unseren »Rap« nannten, und ich war mit Abstand am schlechtesten.
»Hi, äh, ich heiße Liz, äh … Ich komme vom New York Public Institute of Research , ich meine eigentlich von der Public Interest Research Group … Ich bin hier, um mit Ihnen gemeinsam Krebs zu bekämpfen … Äh, was?«
Die anderen waren so viel besser als ich. Die Rede der jungen Frau neben mir, Anna aus Scarsdale, klang bei ihrem ersten Versuch bereits geschliffen: »Ich möchte Sie einladen, an unserer Kampagne im Kampf gegen die verheerenden Auswirkungen dieser giftigen Chemikalien teilzunehmen. Nur als Gemeinschaft sind wir stark, wissen Sie.«
Ich war beeindruckt, wie perfekt und souverän sie mit ihren teuren Perlenohrringen und der Leinentasche wirkte, beeindruckt davon, wie leicht sich ihre Worte – im Vergleich zu meiner linkischen Ansprache – aneinanderreihten. Es wirkte einschüchternd. Und überhaupt, was war das für eine Wortwahl? Im Kampf gegen? Hieß so nicht ein Mittel gegen Ungeziefer, das wir in der University Avenue benutzt hatten? Ganz offensichtlich konnte man es auch in einem anderen Zusammenhang benutzen. Ich holte mein Tagebuch aus der Tasche und begann, eine Liste von Wörtern zu notieren, die ich durch meine Kollegen mitbekam.
Jeder von ihnen war eloquent, und sie drückten sich alle mit einer selbstbewussten Körpersprache aus und griffen auf ein reiches Vokabular zurück. Ich konnte meinen Blick nicht von ihnen abwenden, vor allem nicht von einem Typen namens Ken.
Ich mochte Ken und fühlte mich gleichzeitig wahnsinnig unwohl in seiner Gegenwart. Er hatte so gar keine Ähnlichkeit mit den Jungs aus meinem Viertel, und er machte mich nervös. Ken war nett und adrett. Und umwerfend. Er hatte wuscheliges, sandfarbenes Haar und pfefferminzfarbene Augen, wie Pistazieneis mit goldenen Sprenkeln darin. Er war groß, und sein Teint hatte einen goldenen Olivton, der mit seinem strahlend weißen T-Shirt mit »Human Equality« -Aufdruck kontrastierte. Ken war eingeschrieben an der Brown University, wo auch gerade Semesterferien waren, und seit Kurzem wieder Single, nach einer langen
Beziehung, was ich aus seinem Gespräch mit Anna mitbekommen hatte.
Irgendwie landeten wir im Bus nebeneinander und wurden von Shen, unserem Gebietsleiter, angewiesen, unseren »Rap« miteinander zu proben. In meinem schwarzen Korn-T-Shirt und einer dicken schwarzen Jeans schwitzte ich erbärmlich. Ich fasste meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, um meinen Händen etwas zu tun zu geben. Ken legte gleich nach mir los, und er stolperte auch über seinen Text, schaffte es aber, trotzdem überzeugend rüberzukommen. »Gute Arbeit«, sagte ich enthusiastischer, als ich eigentlich
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