Als der Tag begann
gut, dass du diesmal wirklich hingehen
willst«, sagte er. »Es ist gut zu wissen. Ich glaube, du wirst es tatsächlich schaffen. Mensch, Lizzy, vielleicht ziehst du das ganze Programm echt durch.« Aus Daddys Mund war das ein richtiges Kompliment.
»Genau das ist der Plan.« Ich lächelte ihn an.
Er zog eine Papierserviette hervor, um sich die Nase zu putzen, und anhand des Aufdrucks konnte ich erkennen, dass sie von McDonald’s war. Schon als ich klein war, hatte Daddy die Vorräte der Schnellrestaurants geplündert.
»Und im Wohnheim ist alles in Ordnung, läuft glatt und so?«, fragte ich und gab ihm dabei die Antwort schon vor. Vielleicht wollte ich auch keine Einzelheiten aus seinem Leben hören; vielleicht schützte ich mich davor, mir Sorgen um ihn zu machen.
»Oh, ja«, sagte er, »da bekomme ich immer drei Mahlzeiten. Die Räume sind klimatisiert. Sie behandeln mich gut, kann mich nicht beschweren. Hey, Lizzy, hast du ein bisschen Geld übrig? Für Token oder ein Mittagessen?«
Ich hatte mir am Morgen von Bobby zehn Dollar geliehen. Acht waren noch übrig. Ich behielt das, was ich für meine Fahrkarte zurück in die Bronx brauchte, und gab ihm den Rest.
»Hey, danke«, sagte Daddy. Es fühlte sich gut an, ihm ein bisschen unter die Arme zu greifen.
»Kein Problem. Ich hab ein bisschen was gespart, gar kein Problem«, log ich.
Ich begleitete ihn die Treppe hinunter. Wir umarmten uns zum Abschied und versprachen uns gegenseitig, uns ab jetzt öfter anzurufen und zu treffen. Er blieb nicht am Drehkreuz stehen, um mit mir auf den Zug zu warten. Stattdessen verabschiedete er sich und ging weiter nach hinten den Bahnsteig entlang, um sich dort allein hinzustellen. Als er an einem öffentlichen Münztelefon vorbeikam, steckte er auf der Suche nach Kleingeld den Finger in den Rückgabeschacht.
Mein neues Schuljahr an der Highschool sollte im September beginnen; jetzt war es Mai. Ich wollte die vor mir liegenden Monate für Vorbereitungen nutzen – ich musste schließlich vier Jahre in drei Monaten aufholen. Und um meine Einschreibung an der Prep zu vervollständigen, musste ich offizielle Kopien meiner Zeugnisse bei der John F. Kennedy High School beantragen.
Wie anders sich meine alte Schule doch präsentierte: Beim Betreten des Gebäudes musste ich durch Metalldetektoren gehen. Niemand sah mich direkt an. Überall waren Schüler, Abertausende. Die Anlage kam mir vor wie ein quirliger Busbahnhof. Später, als ich mit der U-Bahn wieder zurück zur Prep fuhr, ließ ich mich auf einen freien Platz fallen und riss den Briefumschlag mit den Kopien auf. Spalten über Spalten mit ungenügenden Noten – es war nervenaufreibend. Ich fühlte mich wie ein Versager, ein umherziehendes, obdachloses Wrack. Standpauken wegen meiner schlechten Noten zu bekommen, war etwas anderes gewesen – hier musste ich den Anblick meiner gesammelten Zeugnisse verarbeiten, und dies war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Zeugnisse waren etwas Reales, ein handfester Beleg dafür, was oder besser was ich nicht aus meinem Leben gemacht hatte, und ein Wegweiser in die Richtung, was noch getan werden musste. Ein Blick auf mein Schuldesaster machte mir klar, dass ich noch einen riesigen Berg vor mir hatte.
Dann, ganz plötzlich, während ich im Zug saß und auf das Briefpapier der JFK Highschool starrte, dämmerte es mir: Mein Zeugnis an der Prep war ein vollständig unbeschriebenes Blatt. Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes nichts vorzuweisen: keine Beurteilungen, gar nichts. Ich konnte ganz von vorn anfangen.
Der Gedanke an einen Neuanfang war berauschend, vor allem angesichts der Misserfolge, die ich hingelegt hatte. Bei allen Anfangsschwierigkeiten war es ein Segen zu wissen, dass ich mich darauf verlassen konnte, dass alles, was ich von jetzt an tun würde, nicht davon abhängig war, was ich früher einmal getan hatte. Bei meiner Rückkehr auf die 19th Street bat ich April, mir ein Blanko-Schulzeugnis
auszuhändigen, auf dem nur mein Name und reihenweiße leeren Spalten waren, die darauf warteten, mit meinen Noten gefüllt zu werden. Die Kopien der JFK , die ich der Sekretärin aushändigte, sah ich mir nie wieder an. Das leere weiße Blatt hatte ich ab sofort immer bei mir. Es erinnerte mich daran, dass ich, Tag für Tag, an der Gestaltung meiner Zukunft arbeitete. Als ich mich gegen Ende der Woche auf einem Treppenabsatz zum Schlafen hinlegte, holte ich mein unbeschriebenes Zeugnis hervor und füllte es mit den Noten, die
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