Als der Tag begann
Unendlichkeit, wegen seines Talents, unzählige lebensbedrohliche Situationen zu überleben. Er fand den Namen so witzig, dass er ihn der Krankenschwester beim Ausstellen seiner Entlassungspapiere immer wieder vorbetete, um sie (vergeblich) zum Lachen zu bringen. Er bestand darauf zu sagen, eine Katze hätte weniger Leben als er. Ich fuhr Daddy im Rollstuhl durch die Türen des Mt. Sinai Hospitals auf die sonnigen Straßen von New York City, und von diesem Moment an übernahm ich die volle Verantwortung für meinen Vater.
Nachdem erst einmal klar war, dass der Tod Daddys ständiger Begleiter war, bat ich ihn, zu mir in meine New Yorker Wohnung zu ziehen. Er benötigte eine Flut an medizinischer Versorgung, um am Leben zu bleiben; dazu gehörten regelmäßige Besuche bei den Fachärzten, ständig neue Blutbilder, andauernde (oft schmerzhafte) medizinische Untersuchungen, Chemotherapie wegen der Hepatitis C und, um die Viruslast seines HIVs in Schach zu halten, eine antiretrovirale Therapie. Einen »Cocktail«, so nannten seine Ärzte die Verabreichung der Medikamente, die in diesem Umfang HIV-Patienten erst nach Mas Tod zur Verfügung gestellt wurden.
Im Verlauf der nächsten paar Jahre bestand mein Leben darin, Daddys Anforderungen gerecht zu werden, im College auf Kurs zu bleiben und in der ganzen Welt für meine Workshops und Vorträge herumzureisen. Es gab in dieser Zeit viele Hochs und Tiefs, und ohne meine engen Freundschaften hätte ich das alles wieder mal nicht durchgestanden.
Die Unterstützung, die von allen Seiten an mich herangetragen wurde, war nichts Geringeres als ein Wunder. Meine Freunde und ich waren in allen Drehungen und Wendungen, die unsere Leben nahmen, füreinander da und wurden im Lauf der Jahre wirklich eine Familie. Da waren Bobby, Eva, James, Jamie, Sam und Josh,
meine langjährigen Freunde, und da waren Ruben und Edwin, die neu hinzukamen und sich bewährten. Wie feierten gemeinsam unsere Geburtstage und Feiertage und halfen uns gegenseitig auch innerhalb unserer Familien aus, wenn Not am Mann war. Ich konnte, egal wann, von Boston nach Hause kommen und Daddy im Wohnzimmer antreffen, wo er sich mit Edwin an seiner Seite die neueste Folge von Law & Order im Fernsehen ansah; sie teilten sich eine Packung Kekse und lachten miteinander.
Wann immer ich verreisen oder aufs College musste, brachte Edwin, Ed, den ich über Eva kennengelernt hatte, Daddy zuverlässig zu allen Untersuchungsterminen, kaufte für ihn ein und sorgte dafür, dass er saubere Anziehsachen hatte und warme Mahlzeiten bekam. Darüber hinaus wurde er ein echter Freund von Daddy. Ed und ich behielten absichtlich unsere New Yorker Wohnungen in Gehweite zueinander, und sooft ich zu Hause war, verbrachten wir unsere Tage damit, Daddy in ein Restaurant oder ins Kino auszuführen, wo wir ihm ein Snickers und eine Wasserflasche zusteckten, die er dann hineinschmuggelte. Ed und ich lächelten uns jedes Mal zu, wenn Daddy seinen Schokoriegel mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht vor der flimmernden Leinwand auspackte. In diesen Augenblicken wurden wir meiner Meinung nach Zeugen, wie in Daddy ein Funken Stolz aufglimmte, weil er »die Obrigkeit« noch einmal ausgetrickst hatte.
Lisa und Sam kamen schließlich auch auf die Füße. Sam ist glücklich verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Madison, Wisconsin. Lisa machte nach einer langen, anstrengenden Zeit mit Höhen und Tiefen erfolgreich ihren Abschluss am Purchase College in New York State. Heute arbeitet sie als Lehrerin für autistische Kinder. Jamie hat zwei Kinder und lebt verheiratet in Nevada. Bobby macht eine Ausbildung als Krankenpfleger, ist glücklich verheiratet und hat ebenfalls zwei Kinder. Wir alle bleiben füreinander wichtige Bezugspunkte in unseren Leben.
Während Daddys letzter Lebensjahre, nachdem ich eine Weile nicht aufs College gegangen und in New York geblieben war, um
nach einer Herzoperation für ihn da zu sein, kehrte ich nach Cambridge zurück, um das College zu beenden. Daddy begleitete mich. Wir mieteten ein großes Haus in der Nähe von Harvard mit einem Schlafzimmer für jeden von uns: Ed, Ruben – Eds kleiner Cousin, um den er sich kümmerte –, Daddy und ich. Und nur einen Monat vor seinem Tod unternahmen Ed und ich mit Daddy die lang ersehnte Reise nach San Francisco. Daddy bestand darauf, uns Orte zu zeigen, die für ihn in seiner Jugend wichtig gewesen waren. Wir fragten nie nach Einzelheiten, und er rückte auch nicht damit heraus. Ed
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