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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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verzerrtem Verstand verschüttete er hier etwas, stolperte dort, nestelte da an was herum.
    »Der Alkohol hat das aus Pop gemacht, Lizzy. Es tat ihm immer leid. Er liebte mich. Das glaubst du doch auch, oder?«, fragte mich Ma, an ihrer Literflasche Bier nuckelnd. Das war der Moment, ab dem sie zu weinen begann.
    Oft zog Ma dann den Kragen ihres T-Shirts nach unten, um ihre ungleichen Schlüsselbeine zu entblößen. Ein Knochen stand
hervor, von seinem Zwilling abgetrennt nach dem Zusammenprall mit der Wand, als Kind. Die Angst in ihrem Gesicht, jedes Mal so echt, sagte mir, dass sie wieder dort war und ihre Erinnerungen noch einmal durchlebte. Sie pumpte sich voll, damit es ihr besser ging, als Flucht, aber irgendwie brachten die Drogen sie immer wieder zu ihren Problemen zurück, als ob ihr das Ganze noch einmal zustoßen würde, jetzt und hier in unserem Wohnzimmer.
    »Ich liebe dich, Ma. Ich bin ja bei dir«, versicherte ich ihr. »Wir alle lieben dich, Ma.«
    »Ich weiß, Lizzy.« Aber mir war klar, dass meine Worte nie zu ihr durchdrangen. Ihre Traurigkeit war einfach zu groß und zog sie meilenweit von allem weg, auch von mir.
    Während Ma mir das alles erzählte, stellte ich meine Bedürfnisse komplett zurück – Schlaf, Hausaufgaben machen, Fernsehen, meine Spielsachen, die ungenutzt in meinem dunklen Zimmer lagen. Ihr Leid umhüllte mich in seiner ganzen Dringlichkeit, und jeglicher Unterschied zwischen uns – hinsichtlich des Alters oder in Sachen Verantwortung – wurde dadurch für mich immer schwerer zu erkennen.
    So lernte ich, mit ihr wie mit einer Freundin zu reden, auch wenn ich gar nicht genau wusste, was ich da von mir gab. Beharrlich blieb ich dabei: »Er muss dich geliebt haben, er war dein Daddy. Ich glaube, das Bier hat ihn wütend gemacht, Ma. Hätte er es geschafft aufzuhören, wäre er dir ein guter Daddy gewesen.« Falls Ma dadurch irgendwie getröstet wurde, hielt es nur kurz an. Eine halbe Stunde später zog sie sich ihren sandfarbenen Mantel mit den verdreckten Manschetten an, damit sie auf der Suche nach dem nächsten Schuss wieder auf die dunkle Straße zurückkehren konnte, und währenddessen wischte sie sich immer noch die Tränen von ihrem erhitzten Gesicht ab. Im Licht der Straßenbeleuchtung, das trübe durch unsere verdreckten Fenster schien, fiel Daddy im Schlafzimmer in einen katatonischen Schlummer, durch die vielen Highs, die er bis jetzt in dieser Nacht gehabt hatte, völlig
verwirrt, aber dann wieder schlagartig hellwach durch das Pulver, das noch in seinem Organismus war.
    Ich kehrte auf meinen Platz am Fenster zurück, um sicherzugehen, dass Ma es bis auf die University Avenue geschafft hatte. »9-1-1«, murmelte ich vor mich hin, »9-1-1«, während sie die Straße entlang auf ihrem Weg ins Aqueduct immer weiter zusammenschrumpfte, damit sie dort das ganze Programm wieder von vorn beginnen konnte.
    War sie außer Sichtweite, erfasste ich die Zeit in halbstündigen Abschnitten, eingeteilt durch nächtliche Sendungen wie Cheers und Honeymooners , die mir gut gefielen. Der Fernseher leistete mir in den Pausen zwischen Mas und Daddys Programmabläufen immer gute Gesellschaft. Meistens beschloss ich meine Nächte mit diesen Unterhaltungsshows, dann kamen die Dauerwerbesendungen und schließlich, so gegen fünf Uhr, die Morgennachrichten. Wenn ich mich aufmachte, ins Bett zu gehen, überzog bereits ein mattes Blau den Morgenhimmel. Mittlerweile hatten die Kneipen ihre Türen geschlossen, sodass nur noch Prostituierte, Obdachlose und Drogensüchtige auf den Straßen unterwegs waren – alle so mittellos wie Ma und aussichtslose Kandidaten für ihre Schnorrerei. Also kam Ma nach Hause. Endlich in Sicherheit, brach sie neben Daddy auf dem Bett zusammen, wenn die Erschöpfung schließlich das Bedürfnis nach Drogen übertrumpfte. Tatsächlich war Erschöpfung eins der wenigen Dinge, denen das je gelang. Wenn ich mir ganz sicher war, dass sie im Bett lag, konnte ich mich endlich entspannen, und wir alle kamen ein bisschen zur Ruhe.
    In der Morgendämmerung waren die aufmunternde Musik der Frühnachrichten und Mas Schnarchen die einzigen Geräusche in unserer Wohnung. Ich bereitete mich aufs Schlafen vor, indem ich in ein langes, blaues Nachthemd schlüpfte, ein Geschenk aus Long Island. Mas und Daddys Körper hoben und senkten sich beim Atmen, Ma war noch ganz angezogen, Daddy in Unterwäsche. Ich schaltete den Fernseher aus und ging mit dem Wissen ins Bett,
dass Ma und Daddy,

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