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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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Geschäfts aufzuessen. Wir schmissen faustgroße Steinbrocken durch Lagerhallenfenster und genossen dabei jedes einzelne laute Scheppern, gefolgt von dem Klirren der herabfallenden Scherben. In diesen Momenten verband uns unser Lachen; wagemutige Streiche waren der Höhepunkt unserer Ausflüge.
    Anfang Juli 1990 verbrachten wir einen ganzen Tag damit, in Wohnhäusern auf der Grand Avenue ein- und auszugehen und auch noch die allerletzte Fußmatte von der allerletzten Türschwelle zu entfernen und jede einzelne in den Aufzugschacht zu schmeißen. Pausen gönnten wir uns nur, um dem flatterigen Fall des Abstreifers zu lauschen. Wir unterdrückten unser Lachen und schafften es unentdeckt zurück ins Erdgeschoss.
    Wieder in der Lobby und heiß auf den nächsten Kick, begann Danny damit, irgendeinen Briefkasten mit einem Schraubenzieher, den er immer in seiner Hosentasche trug, aufzubrechen. Aus dem Augenwinkel sah ich eine metallene Gardinenstange an der Wand lehnen. Ich schnappte sie mir und gab sie an Rick weiter.
    »Probier die mal«, sagte ich. Er starrte erst die Stange an und dann mich, bereit für neue Anweisungen. Ich zeigte auf ein geheimnisvoll
aussehendes, mausefallengroßes Fach im Rahmen der offenen inneren Fahrstuhltür.
    »Genau, probier’s mal da«, sagte Danny, während er Briefe hoch in die Luft wirbelte.
    Ohne zu zögern, hakte Rick das Ende der dünnen Stange in das Fach ein. Sofort sprang beim Kontakt ein heller Funke knisternd über. Rick stolperte auf eine Art rückwärts, die vollkommen ungewollt aussah. Er blickte nach unten auf seine Hand und spreizte seine Finger, die schwarz vor Staub waren. Danny lachte zuerst los, und dann packte es uns alle, laut und hysterisch. Unsere Stimmen dröhnten im Treppenhaus hoch und kamen als Echo zu uns zurück. Ich nahm einen schwachen Rauchgeruch wahr. Rick zuckte mit den Achseln.
    »Wenigstens hab ich’s getan«, sagte er mit immer noch vor Schreck geweiteten Augen. Es entstand eine Pause.
    »Genau, du hast’s getan«, sagte Danny schließlich lachend.
    Anders als die Jungs hatte ich keine Sperrstunde, und ich verführte sie dazu, zu lange unterwegs zu sein und die Regeln ihrer Mutter zu missachten. Es ist nicht so, dass ich sie in Schwierigkeiten bringen wollte, genauso wenig wollte ich aber auch, dass sie heimgingen. Manchmal blieben wir so lange draußen, bis der dunkle Himmel wieder heller wurde – was wir in der Bronx »die Nacht bezwingen« nennen.
    An den Abenden, an denen die Jungs endlich mal nach Hause gingen, blieb ich allein zurück und wusste nichts mit mir anzufangen. Ich machte mich so langsam wie möglich auf den Weg und rief mir immer wieder Bilder unseres gemeinsam verbrachten Tages in Erinnerung. Beim Betreten unserer Wohnung schmiedete ich bereits Pläne für den nächsten Tag. Vielleicht würden wir uns ins Kino schleichen und den ganzen Tag Filme umsonst ansehen oder mittwochs, wenn freier Eintritt war, in den Zoo der Bronx gehen.
    Verglichen mit der trockenen Sommerluft draußen, durchzog ein feuchter Geruch unsere Wohnung, der hauptsächlich aus dem
Badezimmer kam; die Wanne war immer noch verstopft und der Gestank penetranter denn je. Daddy hatte der schwarzen Substanz sogar den Spitznamen »Blob, der schwabbelige Mörderpudding« gegeben. Alles war dunkel bis auf den Fernseher, den man leise hören konnte. Ich wusste, dass Lisa in ihrem Zimmer war, weil ich Musik von Debbie Gibson aus ihrem leise gestellten Kassettenrekorder hörte. Auf meinem Weg ans andere Ende der Wohnung folgte ich Mas Schluchzen aus dem stockfinsteren Schlafzimmer, wo ich nichts außer der orange glimmenden Spitze ihrer Zigarette erkennen konnte. Es liefen wieder ihre traurigen Platten, ein Stück, das sie Das Weinen der Buckelwale nannte, was bedeutete, dass sie Judy Collins schon hinter sich gelassen hatte.
    »Hey, Ma«, sagte ich zur glühenden Zigarettenspitze. Es gab eine Pause, dann hörte ich, wie sie einen tiefen Zug nahm, gefolgt vom Gurgeln ihrer Bierflasche.
    »Hi, Elizabeth …« Das Geschrei der Wale schwoll an und verschluckte den Rest ihrer Begrüßung. Meinen vollen Namen benutzte sie nur, wenn sie wieder in eine schizophrene Phase abrutschte, daher machte es mich nervös.
    »Ma, was ist los?« Ich machte zwei Schritte ins Zimmer hinein und tastete nach der Matratze. Ich setzte mich ganz ans Ende, so nah an die Tür wie nur irgend möglich. Als Ma etwas sagte, umkreiste ich mit meinen Fingern eine der hervorstehenden Matratzenfedern.
    »Oh«,

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