Als der Tag begann
sagte sie mit einem halben Lachen, »ich … ich weiß nicht, Elizabeth. Ich fühle mich einsam.« Die Zigarettenspitze glimmte hell auf.
»Wo ist Daddy?«
»Wer weiß das schon?«, antwortete sie geradeheraus.
»Habt ihr euch mal wieder gestritten?« Immer noch unter Strom von meinem Ausflug, federte ich mit den Füßen auf und ab.
»Dein Vater ist kein sich kümmernder Mann. Wusstest du das, Elizabeth? Aber ich denke mal, ich erzähle dir mehr davon, wenn du älter bist«, sagte sie. Die Spitze wurde zu einem Lichtstreifen,
als sie zur Untermauerung ihrer Worte mit den Händen herumfuchtelte.
»Ich will jetzt etwas über Daddy wissen«, sagte ich.
»Nein, du würdest deinen Daddy nur verteidigen … und glauben, dass ich einsam bin. Na ja, ich brauche das Gefühl, geliebt zu werden … Weißt du, alle Leute wollen geliebt werden«, blaffte sie mich mit erhobener Stimme an und nahm noch einen Schluck aus der Bierflasche. Der Plattenspieler drehte sich immer weiter und füllte das Zimmer mit Geräuschen von sich bewegenden Ozeanwogen, durchschnitten von Schreien riesiger, unsichtbarer Wale.
Mein Herz schlug schneller. Ich mochte es nicht, wenn sie in diese Stimmung abrutschte, einsiedlerisch mit einem Hauch Boshaftigkeit. Alle Anzeichen eines sich aufbäumenden Schubs waren da, die gleichen wie bei ihren gesamten vorherigen Zusammenbrüchen. Beim letzten Mal hatte sie lauter Wahnvorstellungen; sie fand zufällig die Stromrechnung und hielt sie für den Scheck der Sozialhilfe und sich selbst für Con Edison – so hieß der Stromanbieter. Ich machte den Fehler, sie dann mit Ma anzusprechen. »Ich bin nicht deine Mutter. Ich bin Edison, du kleines Miststück« , sagte sie zu mir. »Und von meinem Geld bekommst du rein gar nichts. Also verpiss dich!« Und das Ganze lief ab, während der echte Scheck in ihrer Hosentasche uneingelöst blieb und der Kühlschrank wochenlang leer. Ein paar Abende später, als unsere Bäuche vor Hunger schließlich schmerzten und es zu peinlich wurde, wieder bei irgendeiner Organisation anzuklopfen und nach Essensresten zu fragen, teilten Lisa und ich uns eine Tube Zahnpasta und einen Lippenpflegestift mit Kirschgeschmack.
Ich saß einfach da und ermittelte das aktuelle Stadium des Anfalls. Das hier war die Phase, in der sie beinahe damit abgeschlossen hatte, mit uns zu reden oder uns überhaupt zu erkennen. Bald, dachte ich, würde sie in fast komplettes Schweigen verfallen und nur noch mit sich selbst oder mit Leuten reden, die sie in ihrer Nähe glaubte. Wir mussten abwarten, bis sie weit genug weggetreten
war, bevor sie im Einklang mit dem Gesetz gegen ihren Willen abgeholt werden konnte. Dann putzten Lisa und ich die Wohnung, so gut wir konnten, brachten den Müll in riesigen Säcken hinunter, versprühten Raumspray in allen Zimmern und sorgten dafür, dass die Badezimmertür geschlossen war, und zwar fest. Daddy rief den Krankenwagen und die Polizei, und schon war sie wieder auf dem Weg nach draußen. Aufgrund ihres jetzigen Verhaltens blieb ihr meiner Ansicht nach noch weniger als ein Monat.
»Also ich liebe dich ganz doll«, sagte ich ihr in meinem besonders fürsorglichen Tonfall.
»Nein, Elizabeth, ich brauche einen Mann, der mich liebt. Okay? Ist das für jeden hier okay? Ich brauche die Liebe eines Mannes.« Sie begann zu schluchzen. »Ich brauche die Liebe eines Mannes«, wiederholte sie immer und immer wieder.
»Daddy liebt dich«, sagte ich. Aus der Dunkelheit kam keine Antwort. »Er liebt dich wirklich«, sagte ich flüsternd mehr zu mir selbst als zu Ma.
Eines Donnerstags, als ich mir gerade auf dem Weg nach draußen meine Sneakers anzog, klopfte es nachmittags laut an der Tür. Ich fiel sofort in die für mögliche Besuche von Sozialarbeitern entwickelte Vorgehensweise und näherte mich vorsichtig auf Zehenspitzen der Tür, um durch den Spion zu blicken. Zu meinem Entsetzen war Ma vor mir da – zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr ganz richtig im Kopf, bekleidet zudem nur mit einem ziemlich dreckigen, extralangen T-Shirt – und ließ bereits die Schlossriegel aufschnappen. In Anbetracht des Ausmaßes an wahllos verteiltem Dreck in der Wohnung – verrotteter Müll, alte, verstreut herumliegende Klamotten, tausend Zigarettenbrandlöcher und Kippen auf dem verfilzten Teppich – geriet ich in Panik. Die Tür ging knarrend auf, und mein Körper erschlaffte, als ich sah, wen Ma da eingelassen hatte: einen um die zwanzig Jahre alten weißen Mann in einem frisch
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