Als der Tag begann
rief bei Rick und Danny zu Hause an. Ich zog mir mein T-Shirt über die Nase, um die Schwaden von Zigarettenrauch zu filtern, und schmiedete mit den Jungs Pläne, bis zum Sonnenaufgang draußen abzuhängen. Vielleicht würden wir uns ins Kino schmuggeln oder einfach nur herumlaufen und sehen, was so passierte.
Gerade als ich gehen wollte und mir meinen Pullover über den Kopf zog, erregte Mas und Leonards Gespräch meine Aufmerksamkeit. Sie flüsterten über etwas, über jemanden. Leonards neurotisches Fußtippen überlagerte einige Wörter. Ich stand mucksmäuschenstill und lauschte.
Sie redeten über einen Mann, den Ma aus der Kneipe kannte. Nach dem, was ich mitbekam, war es jemand, den sie schon eine
Weile kannte und mit dem sie sich kürzlich zusammengetan hatte. Seine Name, oder sein Spitzname, unter dem ihn jeder kannte, lautete Brick.
»Ich weiß nicht, Leonard, irgendwie hört er mir zu. Das gefällt mir. Das fehlt mir schon lange, ein Mann, der mir zuhört. Wir haben eine gute Zeit miteinander, weißt du?«
Es ging um einen Mann, mit dem Ma sich traf .
»Oh, Jeanie, halte einen Mann, der dir ein gutes Gefühl gibt, bloß fest! Das würde ich auch. Männer mit einer beruflichen Karriere sind so viel reifer.« Den nächsten Satz flüsterte Leonard: »Schlag zu, Jean. Du hast was Besseres verdient.«
Ich war nahe dran, Leonard eigenhändig aus der Wohnung zu schmeißen. Zuerst grinste er Daddy ins Gesicht, und im nächsten Augenblick riet er Ma, sich auf einen anderen Mann einzulassen. Er war so doppelzüngig wie bösartig. Ich hörte ihnen weiter zu und brauchte eine Weile, genau zu verstehen, was da lief, aber bald war mir klar, dass Ma diesen Mann schon eine Zeit lang traf. Ich lauschte ihren Beschreibungen, wie er Geld für sie ausgab, wie sie miteinander schliefen und wie sehr es ihr gefiel, dass er überhaupt keine Drogen nahm, er trank nur manchmal etwas, um seine Nerven zu beruhigen. Auf meinem Horchposten wurden diese Beschreibungen immer konkreter, und jedes Detail ließ Brick stärker zu einem leibhaftigen Menschen werden, der schon seit geraumer Zeit Daddy und das Fundament unserer Familie bedrohte.
Brick verdiente gutes Geld als Wachmann in einer schicken Kunstgalerie in Manhattan. Ma prahlte damit, dass er in der Navy gewesen war. Brick hatte in einem viel hübscheren Viertel als unserem ein eigenes, großes Appartement mit einem Schlafzimmer und war alleinstehend. Und offensichtlich war ich nicht die Einzige, die ihre Nächte weit weg außer Haus verbrachte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Daddy Bescheid wusste.
Ich ließ meinen Blick durch die gesamte Wohnung schweifen. Während meiner zunehmenden Abwesenheit war hier alles von
schlimm zu grauenvoll abgerutscht. Überall gab es Anzeichen des Niedergangs: kaputte Lampen, leere Bierflaschen und mehr Zigarettenkippen als jemals zuvor auf dem Teppich. Feuchtigkeit hing in der Luft. Der Dreck in der Luft war so schwer, dass man ihn beim Atmen spüren konnte. Ma hatte in Leonard eine Schulter zum Anlehnen gefunden, und seine finanzielle Unterstützung bewirkte, dass meine Eltern zweieinhalb Wochen im Monat auf Droge waren, und zwar nonstop. Schuldgefühle packten mich, weil ich mich treiben ließ; ich hatte meine Beschützerrolle in der Wohnung aufgegeben und so dazu beigetragen, dass alles den Bach hinunterging.
Daddy kam pfeifend durch die Eingangstür in die Wohnung. Ma und Leonard verstummten. Ich öffnete und schloss meine eigene Tür, hüstelte und trat einen Schritt ins Wohnzimmer hinein. Ma durchquerte gerade den Raum und griff sich ihren abgewetzten Ledergürtel vom Türgriff, um sich damit den Arm abzubinden. »Eine Sekunde, Petie!«, rief sie über ihre Schulter. Daddy zählte gerade das Wechselgeld für Leonard ab.
Ich öffnete meinen Mund in der Absicht, Ma etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder, da ich nicht wusste, was. Der Vorspann zu den Honeymooners lief gerade über den Bildschirm, die Musik krächzte dazu. Mas Verhalten deutete darauf hin, dass sie meine Anwesenheit im Zimmer überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Ich hustete laut, und sie sah mich einen winzigen Moment lang an. »Petie, ich bin zuerst dran«, sagte sie und ging an mir vorbei.
Irgendetwas hatte die Zuneigung zwischen Ma und mir zerstört und unseren Umgang miteinander beiläufig und kühl werden lassen. Seit ihrer Diagnose von vor zwei Jahren war unser Verhältnis nicht mehr dasselbe. Ich hatte mit niemandem über das, was Ma mir in dieser
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