Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
Vom Netzwerk:
pfeffern würden, dachte ich und malte mir sogleich ihre Reaktion aus: den Schrei, den sie beim Aufprall ausstoßen würde, wie der Ballon ihre billige Frisur platt machen würde. Ich würde werfen, dachte ich, und dann selbst lachend vom Dach fallen.
    »Die Wohnheime, in die ich dich stecken kann, werden dir nicht gefallen. Und lass es dir gesagt sein, wenn du hier nicht putzt, wirst du es dort garantiert tun. Sie werden dich die Toiletten schrubben lassen. Und die anderen Mädchen dort sind gewalttätig. « Ich sah mich über Toiletten gebeugt, die dreckiger waren als unsere zu Hause, mit schwarzbraunen Rändern, schleimig und glitschig. Matronenhafte, fies aussehende Mädchen in zerlumpten Klamotten standen hinter mir als Überwachungskommando. »Wenn du das willst, bringe ich dich von hier fort. Alles, was du dafür tun musst, ist, nicht zur Schule zu gehen, und dann wirst du gehen.« Jetzt kam ihr Lieblingsteil, das konnte man an dem schiefen Lächeln in ihrem Gesicht erkennen, als würde sie den ganzen Tag arbeiten, nur um diesen einen Satz endlich zum Besten geben zu können: »Mitgemacht oder weggebracht, du hast die Wahl.«
    Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck irgendwo zwischen Abscheu und Verbitterung an. »Willst du dein Leben nicht auf die Reihe
kriegen, junge Dame? Schon mal darüber nachgedacht?« Sie genoss das alles, ich spürte richtig, wie es sie erregte und ihr dabei heiß wurde. Da schwang nicht der geringste Hauch guter Absicht mit, das sagte mir mein Bauchgefühl. Wie so viele der Sozialarbeiter, die mich maßregelten, ergötzte sich Mrs Cole daran, sich aufzuregen; sie kostete die Darbietung regelrecht aus.
    Wo war die Warmherzigkeit, die ihren Worten Nachdruck verliehen hätte? »Das Leben auf die Reihe kriegen?« Die Leute sagten ständig so etwas, aber wer erklärte mir mal, und zwar ganz genau und detailliert, was sie damit meinten? Wer versuchte mal, mir zu zeigen , warum ich mich um die Schule und um eine saubere Wohnung kümmern sollte? Erkannten denn die Erwachsenen nicht die Dimension dieser Worte, wie sie meine Verständnismöglichkeiten überstiegen und wie die Lücken dazwischen groß genug waren, dass ich dort tief hinabstürzen konnte? Wo war die Verbindung zwischen dem, wie ich jeden Morgen aufwachte, und den Zielsetzungen, die sie von mir erwartete? Wovon redete sie da? Wenn Bildung und Arbeit so wichtig waren, warum hatten dann meine Eltern keins von beiden? »Das Leben auf die Reihe kriegen.« Wie sah das denn aus? Erwartete man von mir, das selbst herauszufinden? Wenn nicht, wie konnte ich Mrs Coles Standpauken dahingehend entschlüsseln? Zumal, wenn sie mir die Dinge so aufgebracht und selbstgerecht erklärte?
    Ich war wütend, tat aber mein Bestes, ruhig zu wirken, vor allem als Mrs Cole ihre Pointe setzte, während ich sie zur Haustür begleitete. Sie hielt ihre Aktentasche in der Hand und streckte mir drohend einen langen, gekrümmten Fingernagel entgegen.
    »Du weißt, Elizabeth, dass ich dich, wenn ich wollte, heute schon mitnehmen könnte. Genau genommen kann ich kommen und dich an dem Tag, an dem es mir gefällt, abholen. Denk daran. Noch bin ich freundlich.«
    Wenn das ihre freundliche Art war, konnte ich mir Mrs Coles Vorstellung von Feindseligkeit kaum ausmalen.
    Hinten in der Wohnung hatte sich Ma bereits lang ausgestreckt
und ein Kissen über den Kopf gelegt. Die Uhr zeigte drei Uhr nachmittags an; bald würde Lisa nach Hause kommen. Ich stand an der Tür zu meinem Zimmer, als Ma unter ihrem Kissen etwas murmelte.
    »Lizzy, hast du gestern Lebensmittel in Tüten gepackt? Ich meine, hast du Bargeld? Ich könnte gut fünf Scheine gebrauchen.«
    »Nein, heute bin ich pleite, Ma.«
    Sie drehte sich zur Seite und machte ein Geräusch zwischen Stöhnen und Ächzen. Auf ihrer Pobacke klebte ein Pennystück. Mir lief ein Schauer durch den ganzen Körper, der dann jedoch schnell wieder abebbte. Ich wusste nicht, ob ich wütend auf sie sein sollte oder nicht oder ob sie mich einfach nur traurig machte. Ich ging in mein Zimmer und warf mich aufs Bett. Ich war wie betäubt. Lange Zeit starrte ich an die Decke und fühlte absolut gar nichts in mir.
    In dieser Nacht kam Leonard Mohn mit einem Scheck vorbei. Er, Ma und Daddy feierten ein stundenlanges Gelage. Von meinem Zimmer aus konnte ich zuhören, wie sie ihre Runden drehten, sich mit den Bierflaschen zuprosteten, ich vernahm ihre Schritte und das wiederholte Öffnen und Zuschlagen der Wohnungstür. Einmal kam ich heraus und

Weitere Kostenlose Bücher