Als der Tag begann
oder seinen Ausflügen nach Downtown zurückkehrte, kam ich kurz aus meinem Zimmer, um das mitgebrachte Essen entgegenzunehmen: gebratener Reis oder ein Stück Pizza waren zum Standard geworden. Wir redeten kurz über belangloses Zeug, und dann, sobald Daddy sich in die Küche begab, um sich zuzudröhnen, zog ich mich wieder in mein Zimmer zurück, wo ich in Ruhe und allein essen konnte. Als er eines Tages einen zweiten, kleineren Schwarz-Weiß-Fernseher aus dem Müll anschleppte, durfte ich ihn in mein Zimmer nehmen. Ich hatte ihm verkündet, dass die Couch nicht mehr besonders gemütlich war. Manchmal klopfte Daddy nachts, bevor er ins Bett ging, sanft an meine verschlossene Tür und sagte: »Gute Nacht, Lizzy. Ich liebe dich.« Ich ließ ihn dann von meiner Seite aus ein paar Augenblicke lang warten, bis ich endlich antwortete: »Ich liebe dich auch, Daddy.«
Ein paar Monate später, als ich dreizehn Jahre alt war, übernahm schließlich das Jugendamt das Sorgerecht für mich. Als sie mich abholten, wehrte ich mich nicht dagegen. Irgendwo tief in meinem Innersten, an einem Ort, an den ich selbst jetzt noch nicht denken kann, sitzt der Glaube fest verankert, dass es mir das Herz brach, als auch Daddy sich nicht dagegen wehrte.
Als Reaktion auf die vielen unbeantworteten Aufforderungen, betreffend mein Fernbleiben vom Unterricht an der Junior High School 141 , tauchten zwei ernst aussehende Sozialarbeiter in gestärkten Anzügen an unserer Haustür auf und begleiteten mich in einem Auto zu dem Ort, an dem ich untergebracht werden sollte. Einer stellte sich als Mr Doumbia vor, der andere blieb namenlos. Während Daddy die Dokumente unterschrieb, die dem Staat das Sorgerecht für mich übertrugen, hatte ich genau zehn Minuten, alles, was ich konnte, in meine Schultasche zu packen. In Tränen aufgelöst und voller Panik, griff ich nach ein paar Kleidungsstücken, Mas bronzefarbener NA-Münze und dem einen Schwarz-Weiß-Foto von ihr, das war alles. Daddys Umarmung an der Tür fiel steif aus vor lauter Nervosität. »Es tut mir leid, Lizzy«, war alles, was er sagte, und seine Hände zitterten heftig. Ich verbarg mein Gesicht vor ihm, weil ich nicht wollte, dass er mich weinen sah. Wäre ich einfach nur zur Schule gegangen, dann wäre das hier nie passiert.
Im Auto saß ich auf der Rückbank mit meiner Tasche auf dem Schoß bloß da. Niemand sagte etwas zu mir. Ich versuchte aus den Gesprächen herauszuhören, was wohl als Nächstes passieren würde. Aber ich konnte von ihrer Unterhaltung, die sie mit kehligem Akzent führten und die auch noch vom Motorengeräusch des Autos übertönt wurde, nicht viel verstehen. Meine Augen huschten überallhin, die Straßen der Bronx, auf denen wir entlangfuhren und die ich nicht kannte, hinauf und hinunter. Sie brachten mich in ein wuchtiges, anonym wirkendes Bürogebäude aus fleckigen Ziegeln, und als wir hineingingen, fiel mir auf, dass über dem Eingang kein Schild hing.
Man führte mich in ein kleines Büro, das einem Arztzimmer glich, nur ohne den Untersuchungstisch. »Setz dich hierhin«, sagte eine große Frau zu mir und deutete dabei auf einen Stuhl, bevor sie hinausging und die Tür weit offen stehen ließ. Das Fenster war mit einem massiven rostigen Gitter verbarrikadiert, und die Sonne schien in eine zugemüllte schmale Seitengasse hinter dem Gebäude. Von meinem Stuhl aus konnte ich ein anderes Mädchen sehen, das allein draußen im Flur saß. Ihre Haare waren zu unzähligen kleinen, sehr langen Zöpfen geflochten, und sie trug eine Jogginghose. Ihr Blick war träge; sie sah aus wie die Leute in Mas psychiatrischer Abteilung, wenn sie mit Medikamenten ruhiggestellt waren. Mehr als eine halbe Stunde verging, und niemand tauchte auf. Ich stand zögernd auf und ging zu dem Mädchen, um es anzusprechen.
»Hi«, sagte ich. »Warum bist du hier?«
»Sie glauben, ich habe meinen Cousin abgestochen. Das kotzt mich voll an«, antwortete sie murmelnd, ohne mich überhaupt anzusehen.
»Oh … tut mir leid«, war alles, was ich zustande brachte, und kurz darauf ging ich zu meinem Stuhl zurück. Ich weiß nicht mehr, wie lange es gedauert hat, bis die große Frau wieder da war, aber als es so weit war, schloss sie die Bürotür, und wir beide waren allein im Raum. Sie öffnete eine Akte und hielt sie unter ihre Schreibtischlampe, las irgendwas und widmete ihre Aufmerksamkeit dann wieder mir, wobei sie mich über den Rand ihrer Brillengläser musterte. Es war das erste Mal,
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