Als die erste Atombombe fiel
noch nicht zurückgekommen«, entgegnete ich.
»Noch nicht zurückgekommen? Dann gibt es keine Hoffnung mehr«, sagte er. Von da an lag er im Bett. Mein Glück war von kurzer Dauer. Mein Vater war von dem Gift so geschädigt worden, dass er am 16. um die Mittagszeit starb, während ich mich an ihn klammerte und weinte und weinte. Meine Mutter ist nie zurückgekommen. Ich weiß nicht, wo sie gestorben ist. Und wenn ich daran dachte, dass jetzt nur noch wir und Großmutter da waren, wurde ich wieder traurig.
Sechs Jahre sind seitdem vergangen, aber den 6. August 1945 habe ich nicht vergessen. Bald wird der Todestag meiner Eltern zum siebten Mal wiederkehren. Ich bete darum, dass die Atomenergie für gute und friedliche Zwecke genutzt wird, nicht für schlimme!
Dieses schöne, dichte Leben
Toshihiko Tanabe hatte sich ebenfalls zu einem Gespräch bereit erklärt. Er stößt mit etwas Verspätung zu der Runde, die sich in der Friedensgedächtnis-Halle von Hiroshima eingefunden hat, weil er Grippe hat und nicht weiß, ob er die ganze Zeit dabei sein kann. Tanabe leitet eine Werbeagentur in Hiroshima. Am Anfang skizziert er seinen Lebenslauf seit dem 6. August 1945. Schließlich frage ich ihn, ob er es bei seinem eigenen Schicksal richtig findet, über Hiroshima und die Atombombe zu reden, oder ob es sinnvoller sei zu schweigen. Die Antwort fällt länger als erwartet aus; sie soll im Wortlaut wiedergegeben werden:
»Das ist schwer für mich, darauf etwas zu erwidern. Im Grunde genommen befinde ich mich immer noch im Zustand vor einer solchen Antwort. Wenn ich meine Situation bedenke: Ich habe meinen Vater, meine Mutter, meine Geschwister, die ganze Familie durch die Bombe verloren. Das heißt, ich besaß nichts mehr, keine Angehörigen, keine Unterkunft, kein Eigentum, gar nichts. Mir blieb buchstäblich nichts mehr als das Leben selbst, die Notwendigkeit zu überleben, eine materielle Grundlage zu schaffen.
Jetzt bin ich 44 Jahre alt und habe meine eigene Familie. Wenn ich ehrlich bin, so muss ich sagen, dass ich auch heute noch nicht dazu komme, über meine Erfahrungen mit der Atombombe in der Öffentlichkeit zu sprechen. Aber mit meinen Kindern rede ich darüber, muss ich darüber reden. Ich habe eine Tochter und einen Sohn. Und jedes Jahr am 6. August nehme ich meine Kinder an die Hand und gehe mit ihnen zu dem Zaun, der die Ruine der ehemaligen Handelskammer von Hiroshima umgibt. Genau dort hat nämlich unser Haus gestanden.
Ich erzähle meinen Kindern, wie es früher in dieser Gegend ausgesehen hat. Heute liegen um das kuppelförmige Gebäude herum nur freie Flächen, aber früher war das ein richtiger Wohnbezirk, und zwar bis an den Fluss. Dort gab es zum Beispiel Reisgeschäfte, einen Fotoladen und viele kleine, enge Straßen. Unsere Kinderspiele hatten hauptsächlich mit dem Fluss zu tun, in dem ich übrigens schwimmen gelernt habe. Dem Fluss hat man ubuju entnommen, das Wasser, das die Hebamme vor der Geburt aufkocht und dann zum Waschen verwendet. Außerdem gab es noch den sajori , einen sehr schön anzusehenden Fisch, der nur in ganz sauberen Gewässern existiert. So klar war das Wasser.
Dieses schöne, dichte Leben wurde durch den Blitz total zerstört, in einem einzigen Augenblick.
Mein Vater war gerade in dem Stadtteil Kamiya-cho, als die Bombe fiel, also in unmittelbarer Nähe des Explosionszentrums. Im Krieg gab es fast an jeder Haltestelle der Straßenbahn einen Luftschutzunterstand. Am Morgen des 6. August war es sehr heiß, und zwei Soldaten wollten ihm, dem Offizier, gerade einen Platz in dem Bunker zum Ausruhen anbieten, als die Bombe explodierte. Von den beiden Soldaten war einer sofort tot, der andere schwer verletzt. Mein Vater nahm den verletzten Soldaten auf den Rücken und ging mit ihm in Richtung Nakajama, das liegt jenseits der Handelskammer. In der Nähe von Nakajama gab es einige Häuser, die noch nicht restlos zerstört waren. Dort gab mein Vater den Soldaten in Pflege und machte sich dann erst auf die Suche nach meiner Mutter und meinem Bruder, jedoch vergeblich. Er fand niemanden. Anschließend ist er zu mir gekommen, ich hielt mich ja bei Verwandten auf. Aber neun Tage später, genau an dem Tag, als der Kaiser seine berühmte Kapitulationsrede im Radio hielt, starb mein Vater. Ich bin heute noch stolz auf ihn und finde es wichtig, mit meinen Kindern über ihn zu sprechen und darüber, wo und wie wir damals in Hiroshima gelebt haben.«
(Abb. 12) Toshihiko Tanabe vor dem
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