Als die erste Atombombe fiel
es zu gefährlich. Wir müssen raus.«
Wir krochen aus dem Haus. Draußen war eine Welt, wie ich sie noch nie gesehen oder davon gehört hatte. Ich sah rohes Fleisch, Menschen, die nicht mehr wie menschliche Wesen aussahen. Meine Mutter legte mir ihre Hände über die Augen und sagte: »Sieh nicht hin.« Aber ich schob ihre Hände weg und sah mich furchtsam um. Auf der Straße lagen viele tote Menschen, andere hatten lebensgefährliche Verletzungen. Ich dachte plötzlich an mich selbst und stellte fest, dass ich ohne einen einzigen Kratzer davongekommen war. Mutter war auch nicht verletzt. Ich stand eine Weile ratlos am Tor. Eine Frau, die heftig blutete, lief vorbei und rief den Namen ihres Kindes. Ihre Stimme erinnerte mich an meine Schwester.
Meine Mutter half einer Nachbarin, und überall hörte man Hilferufe. Ich schämte mich, dass ich unverletzt davongekommen war. Viele Menschen liefen vorbei, auf der Flucht nach Ujina, einem Militärstützpunkt südlich von Hiroshima. Am Himmel stieg dichter, schwarzer Rauch auf und die Flammen kamen näher. Jemand rief meinen Namen und ich lief hinter das Haus und sah, dass es mein Vater war, der vom Büro zurückgekommen war. Er erzählte mir, dass die Druckwelle ihn fünf oder sechs Meter weit geschleudert habe. Drei von uns waren nun in Sicherheit und zusammen, aber was war mit meiner Schwester geschehen? Wir machten uns auch auf den Weg nach Ujina. Wir nahmen die Reste vom Frühstück mit und hinterließen am Tor unseres Grundstücks eine Nachricht: »Keiko, wir gehen nach Ujina.«
Es wurde Nacht und wir beschlossen, auf einem Feld zu schlafen. An immer neuen Stellen brach Feuer aus. Die Nacht schleppte sich dahin. Ich wachte mehrere Male auf. Endlich wurde es Morgen. Mein Vater ging in die Stadt, um meine Schwester zu suchen, während meine Mutter und ich uns auf den Weg zu unseren Verwandten machten. Ihr Haus war auch zerstört, aber nachdem wir einen halben Tag lang gearbeitet hatten, war es wenigstens so weit wieder hergerichtet, dass wir dort schlafen konnten. Ich war von den Ereignissen des vorangegangenen Tages so erschöpft, dass ich mich hinlegte und erst abends wieder aufwachte. Ich sah mich um und hoffte, meine Schwester zu sehen, aber sie war nicht da. Mein Vater war zurückgekehrt. Er sagte uns, dass er wegen des Feuers nicht in das Gebiet von Dobashi hatte gelangen können. Eine weitere schlaflose Nacht folgte. Ich döste manchmal ein, aber dann gab es wieder Voralarm. Die Flammen färbten den Himmel blutrot, wie das Glühen eines Sonnenuntergangs.
Am nächsten Tag gingen mein Vater und meine Mutter beide fort, um meine Schwester zu suchen, fanden sie jedoch nicht. Am Nachmittag begleitete ich meinen Vater und sah, dass die verschlungenen und zerrissenen Straßenbahnleitungen die Stadt ziemlich gefährlich machten. Wir gingen an der Flussböschung entlang und sahen Schuljungen und -mädchen im Alter meiner Schwester in Gruppen zusammenliegen, viele schon im Sterben. Sie baten jeden, der vorbeikam, um Wasser. Mein Vater sagte zu ihnen: »Euer Vater oder eure Mutter wird euch sicher bald finden, seid nur tapfer und gebt nicht auf.«
Sie antworteten nicht, aber ihre geschwollenen und verbrannten Gesichter lächelten uns mühsam an. Wir konnten nichts für sie tun. Sie waren sicher auf der Suche nach einem kühlen Ort hierher gekommen. Ihre Kleider waren verbrannt, sie hatten nichts an. Ihre Haut war von den Verbrennungen schmierig und wimmelte schon von Maden. Ging es meiner Schwester auch so? Wir folgten der Straße in Richtung Dobashi. Wir sahen am Straßenrand ein Pferd, das in den Flammen verbrannt war. Wir fragten einen Mann, der suchend durch die Reihen der Leichen ging: »Wissen Sie etwas über die Schülerinnen des Bezirksgymnasiums?«
Er sagte, dass er einige in Koi, 2,5 Kilometer westlich der Abwurfstelle, gesehen habe. Wir fuhren mit unsern Fahrrädern los, so schnell wir konnten. Aber weil wir es so eilig hatten, nach Koi zu kommen, erschien es uns, als ob wir gehen würden! Oben auf dem Hügel bei Koi sahen wir ein paar Mädchen aus der Schule meiner Schwester, aber sie selbst war nicht dabei.
Auch den nächsten Tag verbrachten wir so mit der Suche nach meiner Schwester. Die Schüler auf der Flussböschung vom Tag vorher konnten jetzt nicht mehr sprechen und sahen uns sehnsüchtig an. Viele, die gestern noch gelebt hatten, waren tot. Als wir weitergehen wollten, sagte eine leise Stimme: »Lebt wohl.«
Es war schwer für uns, sie allein zu
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