Als die erste Atombombe fiel
trat Haarausfall auf, aber der Patient setzte seine Arbeiten fort. Am 21. Tag fühlte er sich fiebrig und einen Tag später zeigten sich Petechien (punktförmige Hautblutungen). Am 25. Tag wurde er in das Ujina-Hospital aufgenommen mit Übelkeit, Kopfschmerzen und Zahnfleischschwellungen. Diese Schwellungen nahmen noch zu und waren am 29. Tag außerordentlich schmerzhaft. Eine Woche später blutete das Zahnfleisch, aber bald danach begannen die Schleimhäute wieder zu heilen.
Vom 26. Tag an litt der Patient an zunehmenden Halsschmerzen, die am 32. Tag so stark waren, dass er keine Nahrung mehr schlucken konnte. Am nächsten Tag stellte sich eine krampfhafte Kiefernklemme ein, an den Mundwinkeln erschienen flache Geschwüre.
Die Temperatur stieg am 27. Tag steil an, erreichte einen Tag später 40,3 Grad, um dann lytisch (allmählich) abfallend am 41. Tag auf normale Werte zurückzugehen. Die Temperatur blieb dann, bis auf eine Fieberzacke am 47. Tag, unter 37 Grad. Die Petechien begannen am 34. Tag wieder zu verschwinden und der Patient konnte am 59. Tag entlassen werden.«
Die für die Mediziner neuen und ungewöhnlichen Krankheitsbilder wurden durch Neutronen- und Gammastrahlung verursacht, die bei der Atomexplosion freige-setzt wurden. Im Laufe der Zeit lernten die Ärzte ganz unterschiedliche Strahleneffekte kennen, solche mit relativ begrenzten Auswirkungen auf den menschlichen Organismus und jene, die lebensbedrohende Blutkrankheiten wie Leukämie sowie Schilddrüsenkrebs und andere bösartige Geschwülste auslösten.
Weitgehend unbekannt sind nach wie vor die möglichen Folgen der Bestrahlung für die menschliche Erbmasse. Wenn Chromosomen, die Träger von Erbinformationen, durch Bestrahlung beschädigt wurden, kann es noch in der zweiten und dritten Generation zu Missbildungen kommen. Mit dieser Angst müssen die 367000 Atombombenopfer in Japan leben, diese Angst bestimmt ihr Leben. In dem Buch Atomkrieg – Atomfrieden von Hubertus Hoffmann heißt es zu den möglichen Veränderungen der Erbmasse:
»Die Gammastrahlen verändern die Gene in den Keimzellen, sodass sie falsche Informationen speichern und in der nachfolgenden Generation ernsthafte Erbschäden auftreten werden. Die Genetiker sind sich darüber einig, dass eine Verdoppelung der genetischen Effekte ernsthafte Folgen für die Bevölkerung eines Landes haben wird. Bereits eine addierte Strahlenzufuhr von 30 bis 80 Röntgen über die 30 Jahre einer Generation könnte diesen verheerenden Effekt hervorrufen. Hierzu ist nur eine vergleichsweise beschränkte Anzahl an Atomexplosionen in einem Nuklearkrieg nötig. Schon 750 Sprengungen von je 20 Mt (Megatonnen) reichen aus, um die gesamte Menschheit genetisch zu entstellen.«
Die psychische Belastung der überlebenden Atombombenopfer rührt nicht allein von der Angst her, vielleicht eines Tages wieder unter den Folgen der Bestrahlung zu erkranken oder missgebildete Kinder zu haben; viele leiden nach wie vor unter dem schweren Schock, den die Explosion am 6. August 1945 ihnen zugefügt hat. Die Erforschung der Frühreaktionen und der Spätfolgen in diesem Bereich dauert noch an.
Mein Bruder ist noch nicht zurückgekehrt
Hisato Ito
Schüler der 11. Klasse, damals 5. Klasse
Am Morgen des 5. August brachte uns ein junger Mann nach Hiroshima, der bei meinem Vater auf einem Insel-Leuchtturm bei Ogata im Kreis Saeki an der Inlandsee beschäftigt war. In Hiroshima wollten wir meinen Bruder besuchen, der dort zur Oberschule ging und den ich längere Zeit nicht gesehen hatte. Mein Vater hatte im Leuchtturm so viel zu tun, dass er keine Zeit hatte mitzukommen.
Mein Bruder verbrachte den Abend mit uns in einem Gasthaus in Teppo-cho, das liegt zwischen Schloss und Hauptbahnhof, wo wir bei solchen Anlässen gewöhnlich wohnten. Es war gegenüber der Stelle, wo heute das Toyo-Theater ist. Am Morgen des 6. stand meine Mutter in der Nähe des Eingangs. Sie unterhielt sich mit dem Besitzer und war gerade dabei, die Rechnung zu bezahlen, da sie nach Ogata zurückwollte. Bei ihr waren der junge Leuchtturmwärter und mein 14 Monate alter Bruder. Ich spielte auf einem Stuhl in der Nähe des Eingangs mit einer Katze. Plötzlich sah ich durch die Eingangstür ein unheimliches, bläulich weißes Licht aufblitzen.
Als ich wieder zu Bewusstsein kam, war alles dunkel. Es gelang mir herauszufinden, dass ich an das andere Ende der Halle geschleudert worden war. Ich war unter den Trümmern des
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