Als die Roemer frech geworden
an den Stätten der Varusniederlage aufgehalten hatte. Die an den Angriff des Germanicus
geknüpfte Hoffnung auf die Uneinigkeit des Gegners hatte sich als trügerisch erwiesen. Im Gegenteil, die Angriffe hatten nicht
nur die Arminius-Koalition zusammengeschweißt, sondern auch beinahe ein Zusammengehen von Arminius-Koalition und Marbodreich
bewirkt.
Als erkennbar wurde, dass die Versuche der Okkupation gescheitert waren, suchte Tiberius den Oberbefehlshaber am Rhein mit
Argumenten zu überzeugen, nachdem er schon zuvor mehrfach mit der Abberufung gedroht hatte. Dabei hatte Tiberius augenscheinlich
lange versucht, nach außen und besonders im Senat die Einigkeit von Oberkommando am Rhein und oberster politischer Führung
zu wahren. Weiter unterstützte und beantragte er die Ehren – nicht weniger als eine Imperatorenakklamation und ein Triumph
–, die für den römischen Oberbefehlshaber und seine Unterführer beschlossen wurden. 24
|85| Als das nicht fruchtete, „lobte“ Tiberius den Germanicus durch ein Konsulat, d. h. mit dem obersten Amt im Staat, und durch
eine Ostmission mit umfassender Befehlsgewalt „hoch“ und damit aus Germanien „weg“. 25
Regierungskrise
Schon zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass Germanicus’ Abberufung nicht nur im Konflikt um die rechte Germanienpolitik
gründete. Sie hatte vielmehr den Charakter einer Regierungskrise. Diese versuchte Tiberius, mit einer neuen lukrativen Aufgabe
für Germanicus zu lösen. Er verlängerte sie allerdings damit nur und sah sich in den Jahren 18 und 19 n. Chr. sogar einer
verschärften Krisensituation gegenüber. Denn es scharten sich bei der Tätigkeit des Germanicus im Osten ein großer Anhang
und viele Sympathisanten um den jungen Prinzen, zumal seine populäre Politik sich allzu oft gegen die römische Administration
und damit indirekt gegen Tiberius richtete. So wurde Germanicus richtig gefährlich.
Auch Tacitus und Velleius Paterculus geben sehr deutlich – bei entgegengesetzter persönlicher Haltung zu den Hauptakteuren
– den Gegensatz Tiberius kontra Germanicus wider. 26 Dieser Antagonismus bestimmte die ersten Regierungsjahre des Tiberius, wobei die Germanienpolitik eine Komponente bildete.
Es lässt sich festhalten: Unter dem Princeps Tiberius existierte keine Diskrepanz zwischen einer Propaganda, die die Eroberung
Germaniens suggerierte, und der Realität, die mit dem Rückzug auf den Rhein umschrieben ist. Die Abberufung des Germanicus
markiert letztlich eine Neujustierung der römischen Politik im rechtsrheinischen Raum.
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|86| Dreierlei Ende – Tam diu Germania vincitur
A ls die Waldschlacht war zu Ende,
Rieb Fürst Hermann sich die Hände,
Und um sich noch mehr zu freu’n,
Lud er die Cherusker ein
Zu 'nem großen Frühstück. 1
Trotz des Einsatzes aller am Rhein verfügbaren Reichsheerteile, der Flotte, der Reiterei und des Landheeres, war es in zwei
Jahren in Germanien zu keiner Entscheidung gekommen. Vielmehr lasteten die hohen Verluste und enormen Kosten durch die Krisen
im Herbst beider Jahre auf dem Rückzug in die Winterlager schwer. Außerdem hatten die Angriffe des Germanicus die sich besonders
durch ihren defensiven Charakter auszeichnende Arminiuskoalition eher gestärkt als geschwächt. Eine Koalition zwischen Arminius
und Marbod, dessen Reich Tiberius für eine große Bedrohung hielt, war nicht mehr ausgeschlossen. In der Krise des Jahres 16
n. Chr. erwogen die Cherusker eine Abwanderung nach Osten in den Einflussbereich des Marbod. Nach dem Überlaufen der römerfreundlichen
Partei unter Segestes hatten die romfeindlichen Kräfte in der Koalition endgültig die Oberhand.
Mittlerweile war Gallien durch die Zensus- und Rekrutierungsmaßnahmen, die den Expansionen dienten, stark in Mitleidenschaft
gezogen. Es empfahl sich nicht, diese Provinzen über längere Zeit völlig von Truppen für die Eroberung Germaniens zu entblößen.
Der Sacrovir-Aufstand des Jahres 21 n. Chr. unter den Haeduern und Treverern |87| zeigt, wie unsicher die Lage hier geworden war. Alle diese Erwägungen müssen Tiberius dazu veranlasst haben, die Abberufung
des Germanicus gegen Ende des Jahres 16 n. Chr. durchzusetzen.
Die Folgen der Abberufung für die nördlichen Provinzen waren einschneidend und wurden auch im rechtsrheinischen Germanien
registriert. Sofort nach Abbruch der Offensiven erfolgte noch im Sommer 17 n. Chr. der Angriff der
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