Als die schwarzen Feen kamen
bisschen geringer geworden war. Langsam nickte sie. Es war sicher das Beste, in der Wohnung zu bleiben, auch wenn sie nicht wusste, ob sie das, was Gabriel zu erzählen hatte, wirklich hören wollte.
Gabriel rutschte inzwischen ein Stück von ihr ab und stand vorsichtig auf. » Ich mache uns erst mal Frühstück«, sagte er und ging zur Kochnische hinüber. Marie betrachtete seinen schmalen Rücken unter dem zerknitterten T-Shirt, während er mit dem Wasserkessel und dem Gasherd hantierte. Seine Schultern waren angespannt, seine Bewegungen fahriger als sonst. Von seiner Schattenkreatur war an diesem Morgen nichts zu sehen. Das Sonnenlicht glänzte auf seinen zerzausten Haaren, und an jedem anderen Tag hätte es ein sehr friedliches Bild sein können.
Heute aber war gar nichts friedlich.
Vorsichtig schloss Marie die Augen und spürte sofort, wie der Sog, der sie hinüber in die Obsidianstadt zerrte, erneut nach ihr griff. Hastig öffnete sie die Augen wieder und beobachtete stattdessen, wie Gabriel ein paar Scheiben Brot, Margarine und Käse aus den Schränken und dem Kühlschrank kramte. Das Wasser im Kessel begann leise zu brodeln. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, fühlte Marie sich überhaupt nicht nach Essen oder Trinken, obwohl ihr Kopf ihr sagte, dass sie seit mehr als vierundzwanzig Stunden fastete.
Sie zog ihr Bein an und legte die Stirn darauf. Es würde ein schwerer Tag werden, dachte sie bedrückt. Für sie beide. Und daran würden auch die Sonnenstrahlen nichts ändern, die heute in Gabriels kleine Wohnung fielen.
Schließlich setzte sich Gabriel wieder zu ihr auf die Matratze und stellte zwei Teller, zwei Tassen und das, was er aus dem Kühlschrank geholt hatte, daneben auf den Fußboden.
» Iss erst mal«, sagte er, und seine Stimme klang besorgt. » Du bist ganz blass.«
Am liebsten hätte Marie den Kopf geschüttelt. Aber unter Gabriels aufmerksamem Blick wagte sie nicht, sich zu widersetzen. Zaghaft knabberte sie an einer Scheibe Brot. Auch Gabriel aß offensichtlich mit wenig Appetit, und er schien froh zu sein, als das Pfeifen des Teekessels ihm einen Grund gab, erneut aufzustehen und sein Frühstück zu unterbrechen. Als er schließlich wieder neben Marie saß, wirkte sein Schweigen bereits brüchig. Und kaum hatte sie den letzten Bissen ihre trockene Kehle hinuntergezwungen, holte er etwas angestrengt Luft.
» Weißt du, gestern… war ich noch mal bei Dr. Roth«, erklärte er dann vorsichtig.
Marie hatte beinahe damit gerechnet, dass er das sagen würde. Trotzdem schnürte es ihr die Kehle zusammen. Stumm sah sie Gabriel an.
» Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich mir über etwas Gewissheit verschaffen müsste.« Gabriel rieb sich etwas unruhig den Nacken. » Die Wahrheit ist, ich hatte vermutet, dass er vielleicht ist wie ich. Aber… ich hatte unrecht.«
» Unrecht?« Verständnislos runzelte Marie die Stirn. In diesem Augenblick hätte sie zu gern gehofft. Unrecht, bedeutete das, Gabriel hatte sich getäuscht und Dr. Roth war doch der, für den Marie ihn immer gehalten hatte? Ein einziger Blick in Gabriels Gesicht sagte ihr, dass das keineswegs der Fall war.
» Ganz begreife ich auch nicht, wie das passieren konnte«, fuhr Gabriel fort, und Marie glaubte, ein leises Zittern in seiner Stimme zu hören. » Aber er hat ein Schattenwesen unterworfen, das auf unsere Seite der Realität gelangt ist– so wie deine Feen. Aber es ist ein Schattenwesen, das nicht seins ist, verstehst du? Er hat es sich gefügig gemacht. Mit seiner Hilfe verletzt er die Schatten seiner Patienten, deswegen war dieser Junge, den wir in der Praxis gesehen haben, so blass. Er trinkt ihr Blut, weil er glaubt, dass es heilende Wirkung auf ihn hat, aber innerlich ist er längst ein Monster. Und… er will deine Feen, Marie. Er will sie in die Enge treiben, damit sie in seine Reichweite kommen. Darum hat er dir seit Jahren Tabletten verschrieben. Sie sind es, die diesen giftigen Nebel in deinem Schatten erzeugen. Und die Tropfen, die er dir vorgestern gegeben hat, die… die verstärken die Bindung zwischen dir und deiner Schattenwelt. Auf diese Weise will er die Feen fangen. Ich denke, ihm ist nicht klar, was er wirklich anrichtet. Bestimmt weiß er nichts von diesem Loch in deinem Schatten. Aber ich bin mirsicher, dass seine Medikamente wegen des Lochs so stark wirken. Und dass du deswegen in die Obsidianstadt hinübergezogen wirst.«
Marie starrte Gabriel fassungslos an. Das alles klang in ihren Ohren
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