Als die schwarzen Feen kamen
Temperatur bereits wieder auf etliche Grade unter Null gefallen sein.
Während er durch das schnell herabfallende Zwielicht voranstapfte, kreisten seine Gedanken unaufhaltsam um die gleichen Befürchtungen. Er machte sich Sorgen um seine Freunde– seit Henriks Anruf noch mehr als zuvor. Und er machte sich Vorwürfe, nicht schon am Vortag noch einmal mit ihm gesprochen zu haben. Aber abgesehen davon, dass er und sein Dämonenhund völlig abgekämpft waren, hatte Henrik in der Schule einen normalen Eindruck gemacht. Ganz anders als heute. Er hatte so seltsam geklungen am Telefon, fremd und abgestumpft, als hätte der Kummer ihn inzwischen so niedergedrückt, dass jedes Wort wie mechanisch aus seinem Mund kam. Als wäre er gar nicht mehr der wirkliche Henrik, sondern bestünde nur noch aus Angst um seine Freundin. Wäre Marie nicht gewesen, Gabriel hätte seinen Freund keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen, bis sein Zustand sich besserte.
Und noch etwas beschäftigte ihn: War es ein Zufall gewesen, dass nach Maries Mutter ausgerechnet eine seiner besten Freundinnen das zweite Opfer der Feen geworden war? Eine, die ganz in Maries Nähe wohnte? Und wenn es so war, gab es dann noch mehr unbekannte Opfer, von denen sie, Marie und er, keine Ahnung hatten und durch die sich die Feen unbemerkt immer weiter vermehrten? Oder gingen die Feen gezielt vor? Griffen sie diejenigen an, die ihnen– ihm und Marie– nahestanden? Gabriel wusste nicht, welche Möglichkeit er erschreckender fand, aber er war sich recht sicher, dass die Feen keineswegs planlos agierten. Er würde Marie später bitten, bei ihren Freundinnen anzurufen– ob sie sich nun gestritten hatten oder nicht. Sie mussten herausfinden, ob es ihnen gut ging oder ob sie womöglich auch unter dieser plötzlichen Krankheit litten. Denn falls es so war, konnten sie davon ausgehen, dass die Feen gezielt auf die Jagd machten, die ihnen nahe standen.
Wenn Marie überhaupt noch da war, wenn er zurückkehrte.
Gabriel fröstelte und beschleunigte seinen Schritt. Sie am Morgen so leblos daliegen zu sehen, hatte ihn fast zu Tode erschreckt, und er fühlte sich schrecklich dabei, sie auch nur eine einzige Minute allein zu lassen. Aber Marie war stark. Und Henrik brauchte ihn jetzt.
Als er schließlich den engen Hinterhof betrat, an dem ihr Proberaum lag, war die Sonne schon fast vollständig untergegangen, und nur noch ein letzter türkiser Schimmer färbte den Himmel über der Stadt. Die Gassen und Nebenstraßen abseits vom Schulterblatt, wo nur wenige Straßenlaternen standen, lagen um diese Zeit bereits in tiefem Schatten. Gabriel blieb vor dem Hauseingang stehen und trat von einem Bein aufs andere, während seine Bestie ruhelos in seiner Nähe auf und ab zu streifen begann. Gabriel wäre gern schon hineingegangen, aber er hatte keinen Schlüssel– den hatte Henrik, weil der unter normalen Umständen sowieso immer der Erste am Treffpunkt war. Jetzt allerdings war von seinem Freund noch nichts zu sehen. Vielleicht kam er direkt aus Altona, wo Alex wohnte, dachte Gabriel. Vermutlich hatte er die Zeit unterschätzt, die er für den Weg brauchen würde.
Aber auch eine ganze Weile später, viel länger, als er es bei bestem Willen erklären konnte, war Gabriel noch immer allein. Die Minuten verstrichen eine nach der anderen und langsam wurde er unruhig. War etwas mit Alex passiert? Ging es ihr schlechter? Hatten die Feen ihren Körper am Ende schon verlassen? Die zwanzig Minuten, die er mit Henrik bis zu ihrem Treffen vereinbart hatte, mussten längst vorbei sein. Mittlerweile fühlte Gabriel sich fast steif gefroren und seine Füße spürte er kaum noch. Selbst die Gedanken schwiegen nun– die Kälte hatte sie betäubt.
Endlich, nach einer gefühlten halben Ewigkeit, hörte er Schritte jenseits der Mauer, die den Hinterhof von der Straße abschloss. Und nur kurze Zeit später erschien eine vertraute Gestalt im Torbogen.
Gabriel atmete auf und wollte schon grüßend die Hand heben– als ein bekannter Geruch seine Nase streifte, im gleichen Moment, als Henrik den ersten Schritt auf den Hof machte. Augenblicklich zog sich Gabriels Magen vor Ekel kribbelnd zusammen. Er erstarrte mitten in der Bewegung, und nur Sekundenbruchteile später wurde ihm eiskalt bewusst, dass Henrik allein war. Ganz allein. Von seinem Schatten war weit und breit nichts zu sehen.
Obwohl seine Eingeweide sich vor Abscheu zu verknoten schienen, atmete Gabriel tief ein, um sich zu vergewissern, dass
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