Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
Vom Netzwerk:
letzten Augenblick konnte sie sich auf Händen und Knien abfangen. Wimmernd kauerte sie sich zusammen, während die Geister sie umringten und mit ihren dürren Fingern nach ihr griffen. Ihr Wispern und Fauchen stach in Maries Ohren. Das war nicht real, dachte sie immer und immer wieder. Es musste ein Traum sein, und sie musste aufwachen, aufwachen!
    Ihre Sicht verschwamm. Ihre Hände sanken in den Boden ein, wie in eine Matratze. Marie versuchte, sich an dem Gefühl festzuklammern. Die Geister zerrten an ihren Haaren, ihrer Kleidung und ritzten mit eisigen Fingernägeln ihre Haut auf.
    Aufwachen, Marie! Wach endlich auf!
    In diesem Augenblick hielten die Geister alle gleichzeitig inne und wichen ein Stück zurück, wie auf ein unhörbares Kommando. Von einer Sekunde zur nächsten war es still. Kein Windhauch regte sich. Zitternd hob Marie den Kopf. Die Menge vor ihr teilte sich geräuschlos, bis die Straße wieder offen vor ihr lag. Und in den entstandenen Korridor trat eine wunderschöne Frau mit schneeweißer Haut und Augen, die bis in die Augenwinkel hinein pechschwarz waren, ohne Iris oder Pupille erkennen zu lassen. Der schlanke Körper war in kaltes, weißblaues Licht getaucht, das ebenmäßige Gesicht bewegungslos wie eine Maske. Ein singendes Pfeifen stach in Maries Ohren und hinterließ pulsierenden Schmerz in ihrem Kopf. Der starre Blick der Frau lähmte sie.
    Was tust du hier?
    Die Stimme bohrte sich wie eine spitze Nadel durch ihren Schädel. Die Lippen der Frau hatten sich nicht bewegt, aber Marie zweifelte keine Sekunde daran, dass sie es war, die sprach. Oder daran, wer sich hinter dieser Gestalt verbarg:
    Feen. Wie auch immer sie es geschafft hatten, diese menschenähnliche Form anzunehmen. Marie spürte Abscheu in sich aufsteigen, und sie wollte der Frau ihre Wut entgegenschreien. Aber sie konnte sich noch immer nicht rühren, und auch ihre Stimme versagte.
    Der Mund der Frau verzog sich zu einem boshaften Lächeln, als hätte sie Maries Gedanken gehört. Sehnst du dich so sehr nach dem Tod? Den können wir dir schenken. Wir brauchen dich nicht mehr. Und dein Freund kann dich hier nicht beschützen. Ein hasserfülltes Zischen begleitete die letzten Worte. Marie kniff verzweifelt die Augen zusammen und riss sie wieder auf, aber es half nichts. Was sollte sie nur tun? So leicht würde sie sich nicht geschlagen geben, dachte sie wütend. Sie musste einen Weg zurück in ihre Welt finden, auch wenn ihr Körper und ihre Stimme gelähmt waren. Innerlich rief sie nach Gabriel, so laut sie konnte. Er musste doch noch in ihrer Nähe sein, er musste sehen, was mit ihr geschah! Er musste sie zurückholen!
    In diesem Augenblick schlossen sich kräftige Finger um ihre Schultern, und Marie spürte, wie sie geschüttelt wurde. Das Bild vor ihren Augen flimmerte, wie eine Störung im Fernsehempfang. Die Straße und die Geister flackerten, gingen unter in einem weißen Rauschen. Immer wieder überlagerte der Anblick von Gabriels Wohnung die Szene, als wären zwei transparente Bilder übereinandergelegt.
    Die Fee riss den Mund auf und stieß ein zorniges Kreischen aus, das die Stadt erzittern ließ. Selbst der Himmel schwankte unter dem grellen Schrei. Marie wurde übel bei dem Anblick. Der bleiche Finger der Frau zeigte auf sie. Die Geister stürmten vor und griffen nach ihr– aber ihre Klauen glitten ins Leere, durch Marie hindurch, ohne sie berühren zu können. Die Hände an ihren Schultern hielten sie so fest, dass es wehtat, und sie hatte das Gefühl, gegen einen gewaltigen Strom aus der Obsidianstadt fortgezerrt zu werden. Ihre Sicht verschwamm. Und nun endlich spürte sie auch wieder die durchgelegene Matratze unter sich, roch das Holz der Bodendielen und die Farbe auf den Leinwänden. Einmal, zweimal noch flackerte die schwarze Stadt vor ihren Augen auf. Dann wurde aus zwei Bildern endgültig eins.
    Blasses Morgenlicht floss durch das kleine Giebelfenster in die Wohnung. Über ihr kniete Gabriel, der in diesem Moment ihre Schultern losließ. Sein Gesicht war kreidebleich.
    Erleichterung durchflutete Marie und brach in einem trockenen Schluchzen aus ihrer Kehle. Mit einem Ruck fuhr sie in die Höhe und schlang ihre Arme um Gabriels Hals. Gabriel drückte sie an sich und strich ihr immer wieder über die Haare. » Erschreck mich doch nicht so«, flüsterte er.
    Marie konnte nichts sagen. Ihre Handballen und Knie brannten wie Feuer. Ihre nackten Arme waren mit blutigen Kratzern übersät, und Blut war in den

Weitere Kostenlose Bücher