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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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eine Weile allein hier bleiben?«
    Marie spürte ihren Atem stocken. Nein, dachte sie sofort, alles, aber nur nicht das! Er durfte nicht weggehen! Was, wenn der Sog wieder stärker wurde? Was, wenn er dann nicht bei ihr war, was würde passieren, wenn sie den Weg zurück nicht fand? Vielleicht würde er sie dann auch bald nur noch auf seinen Bildern sehen…
    Gabriel kam zu ihr herüber und setzte sich neben sie auf die Sofakante. Sein Blick war ernst und eindringlich, und Marie wusste, dass er ihre Gedanken an ihrem Gesicht ablesen konnte. Er griff nach ihrer Hand, vorsichtig, um die Schürfwunden nicht zu berühren.
    » Henrik ist der Freund von Alex– dem Mädchen, das ich vorgestern besucht habe«, erklärte er, ohne dass sie hätte fragen müssen. » Er klingt nicht gut, und er sagt, er will mich kurz im Proberaum treffen. Das ist ganz hier in der Nähe, ich bin höchstens eine Stunde weg, okay? Das schaffst du.«
    Marie biss die Zähne zusammen. Henrik also. Der Freund seiner Freundin. Sie wusste, was Gabriel befürchtete. Dieser Henrik hatte sich wahrscheinlich sehr lange Zeit in der Nähe der Feen aufgehalten und jetzt…
    » Ich gehe mit dir«, stieß sie hervor.
    Gabriel sah sie einen Moment lang nachdenklich an. Dann schüttelte er den Kopf.
    » Tut mir leid, Marie«, murmelte er. » Aber ich will nicht, dass du in seine Nähe kommst.«
    Marie schluckte. Seine Worte trafen sie mehr, als sie erwartet hatte. Natürlich hatte er recht. Sie wusste selbst, dass sie in ihrem Zustand besser niemandem zu nahe kam. Trotzdem fand sie den Gedanken unerträglich. » Aber ich will hier nicht allein sein«, flüsterte sie.
    Gabriel streckte den Arm aus und ließ seine Finger durch ihre Haare gleiten. » Ich komme zurück, so schnell ich kann«, versprach er. Dann stand er auf und zog eilig eine Jeans und einen Pullover über die Shorts und das T-Shirt, in denen er geschlafen hatte. Und obwohl sie sich alles andere als wohl in ihrer Haut fühlte, konnte Marie nicht anders, als für einen Moment zu bewundern, wie gut er auch mit tiefen Ringen unter den Augen und völlig zerwühlten Haaren aussah.
    Gabriel schlüpfte inzwischen in seine Schuhe und griff nach seinem Mantel. » Bis später. Pass auf dich auf.«
    Ganz kurz nur berührte seine Hand noch einmal ihren Scheitel. Dann war Gabriel fort und Marie blieb allein auf dem Bett in der schwindenden Abendsonne zurück.
    Eine ganze Weile saß sie nur da und beobachtete, wie das Licht die Wohnung allmählich rot färbte. Nicht einmal ihre Gedanken regten sich, als wäre ihr Kopf inzwischen zu erschöpft zum Denken. Nachdem sie so viele Stunden schweigend in der Wohnung verbracht hatten, hatte sie jedes Zeitgefühl verloren und konnte kaum sagen, wie sich zehn Minuten von zwanzig oder dreißig unterschieden. Sie hätte nicht einmal schätzen können, wie lange Gabriel schon fort war. Bestimmt nicht sehr lange, aber ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. Sie spürte, wie die Angst erneut nach ihr griff– und sofort schien der Sog der Obsidianstadt intensiver zu werden und schwieriger zu bekämpfen. Sie musste irgendetwas tun, um sich abzulenken. Aber was?
    Sie könnte eine heiße Dusche vertragen, dachte Marie, und es würde auch nichts schaden, die Kleider zu wechseln. Immerhin waren sie an vielen Stellen blutbefleckt und zerrissen. Und wenn sie sich nicht zu sehr beeilte, konnte sie dadurch vielleicht auch die Zeit totschlagen, bis Gabriel wieder da war. Entschlossen rappelte sie sich auf, griff nach ihrem Rucksack und ging hinüber ins Badezimmer.

Fünfundzwanzigstes Kapitel: Evolution
    Als Gabriel auf die Straße trat, hatte die Abendsonne alles in ein rotgoldenes, unwirkliches Licht getaucht, das viel zu friedlich wirkte für die düsteren Gedanken, die durch sein Inneres zogen. Der Frost drang innerhalb von Sekunden durch seinen Mantel und seinen Schal bis auf die Haut, aber die Kälte klärte seine Gedanken und erleichterte den Druck auf seiner Brust ein wenig. Gabriel atmete tief durch und spürte fast erleichtert den Schmerz, mit dem die eisige Luft in seine Lungen drang. Zum ersten Mal, seit Maries stumme Schreie ihn am Morgen geweckt hatten, fühlte er sich, als kehrten seine Lebensgeister wieder zurück.
    Mit hochgezogenen Schultern machte er sich auf den Weg in Richtung des Proberaums, der nur knapp zehn Minuten Fußweg vom Café Orca und seiner Wohnung entfernt war. Der Atem kondensierte in dichten Wolken vor seinem Gesicht. Seit Einbruch der Dämmerung musste die

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