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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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Erwiderung an– als ihm schon ein Knacken in der Leitung sagte, dass sie die Verbindung unterbrochen hatte.
    Eine ganze Weile starrte Gabriel mit leerem Blick auf die Uhr, das Telefon noch immer fest in der Hand. Dann riss er sich energisch aus seiner Starre. Eine Dreiviertelstunde also. Diesmal würde er pünktlich sein. Mit einer nachlässigen Bewegung warf er ein altes Tuch über die Dreckpfütze auf dem Boden, damit das Wasser nicht allzu sehr in die Holzdielen einzog. Dann zog er Schuhe, Mantel und Handschuhe an und griff ein weiteres Mal nach seinem Telefon. Zur Probe würde er heute wohl nicht mehr gehen, auch wenn sich Henrik, Nils und Timo darüber fürchterlich ärgern würden. Aber er konnte wenigstens noch absagen.
    Im Mondscheincafé war es warm, laut und voll. Gabriel blieb an der Tür stehen und sah sich um. Nirgends gab es einen freien Tisch. Natürlich, es war Sonntagnachmittag. Auch das Café Orca war bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, als er eben hindurchgelaufen war, aber das hatte er in seiner Eile kaum registriert. Und hier im Mondscheincafé war die Lage kein bisschen besser. Natürlich konnten Marie und er inmitten all der Leute sowieso nicht darüber sprechen, was mit Maries Mutter passiert war. Aber Gabriel hätte sie doch gern vorher noch auf eine Schokolade eingeladen, damit sie ein bisschen zur Ruhe kam. Und er musste schließlich noch eine gute halbe Stunde auf sie warten. Vergeblich versuchte er, Augenkontakt mit einer der Bedienungen aufzunehmen, die geschäftig zwischen Tischen und Theke hin und her liefen. Schließlich gab er es auf und trat wieder in die klirrend kalte Luft auf der Straße hinaus. Marie war natürlich noch nirgends zu sehen.
    Unruhig verlagerte Gabriel sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Die Winterdämmerung war längst herabgefallen, und das Schulterblatt lag im Licht der Laternen und dem warmen Schein, der aus den Fenstern der Cafés fiel, fast verlassen da. Nur selten eilte ein Fußgänger mit gegen die Kälte hochgezogenen Schultern an Gabriel vorbei.
    Gabriel schob die Hände tief in die Manteltaschen und begann unruhig auf und ab zu laufen, um vor Kälte nicht völlig zu erstarren. Die Minuten zogen sich endlos in die Länge, und als Maries schmale Gestalt endlich im Zwielicht am Ende der Straße auftauchte, kam es ihm vor, als hätte er bereits eine Ewigkeit auf sie gewartet. Sie näherte sich rasch und blieb schließlich nur eine Armlänge von ihm entfernt vor ihm stehen. Sie war blass und ihre Augen rotgerändert. Aber auf ihren Lippen erschien ein zögerndes Lächeln.
    » Hallo«, sagte sie leise.
    Gabriel schaute sie an, im ersten Moment unfähig, etwas zu erwidern. Etwas war geschehen. Etwas von Bedeutung. Das wusste er jetzt sicher. Die Geflügelten in Maries Gefolge waren verschwunden, und an ihrer Stelle klaffte nun ein faustgroßes Loch in ihrem Schatten. Er konnte durch sie hindurch sehen, als presste er das Auge an das überdimensionale Schlüsselloch einer Tür, die weit aus dieser Realität hinausführte. Dahinter lag die schwarze Stadt, die er von seinen Bildern kannte. Maries Stadt. Und die Stadt der Geflügelten. Etwas, was Gabriel eigentlich nur durch die Augen seiner Bestie hätte sehen dürfen. Aber die hatte er vorsichtshalber fest in einem dunklen Winkel seines Bewusstseins eingeschlossen, ehe er aufbrach. Eine Kälte, die nichts mit der frostigen Luft oder dem Schnee zu tun hatte, ließ Gabriel innerlich gefrieren. Ein Tor, begriff er entsetzt, Marie war ein Tor. Aber solche Tore sollte, durfte es doch nicht geben!
    Marie räusperte sich leise, und in dieser Schrecksekunde wurde Gabriel klar, dass er sie noch immer anstarrte– und dass er noch nicht auf ihre Begrüßung geantwortet hatte. Reiß dich zusammen!, rief er sich zur Ordnung. Sie hatte doch selbst Angst. Sie konnte nichts dafür! Er erwiderte das Lächeln, so gut er konnte. Aber leicht war es nicht. Das Gefühl, sie gleichzeitig an- und durch sie hindurchzusehen, machte ihn schwindelig.
    » Hey«, erwiderte er und kam sich furchtbar unbeholfen dabei vor.
    Marie musterte ihn aus großen Augen. » Du… du hättest doch drinnen warten können.«
    Gabriel spürte, wie er rot wurde. Inzwischen war er ganz froh darüber, dass aus dem Plan mit dem Café nichts wurde. Das hier war viel zu ernst, um sich länger als nötig in einem Raum voller Menschen– und ihrer Schattenkreaturen– aufzuhalten, selbst wenn es Fremde waren. Das hätte ihm schon viel eher klar sein

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