Als die schwarzen Feen kamen
Nicken. Dann grinste er breit und fuhr sich mit seiner großen Hand durch die karottenfarbenen Stoppeln auf seinem Kopf.
» Ah, jetzt sehe ich, wo du eben so eilig hinwolltest.« Sein Blick blieb kurz an Marie hängen, und prompt spürte sie, wie sie rot wurde. Aber auf Joes Gesicht erschien nun statt des Grinsens ein freundliches Lächeln, das seine kantigen Züge fast weich wirken ließ– dann trat er zur Seite, um eine hinter einem Vorhang verborgene Stahltür für sie freizugeben. Überrascht lächelte Marie zurück. Dieser Joe stellte tatsächlich keine Fragen. Nicht einmal verstohlene Neugier konnte sie in seinem Blick erkennen. Er lächelte einfach und ließ sie mit Gabriel vorbei. Marie konnte sich keinen einzigen der Menschen aus ihrem Umfeld vorstellen, der sich ähnlich verhalten hätte. In Maries Welt war Neugier eine Selbstverständlichkeit. Aber in diesem Moment war sie froh, dass es offenbar auch Menschen gab, die andere einfach in Ruhe lassen konnten.
Die Stahltür schloss sich mit einem Klicken hinter ihnen und schloss die Düfte und Geräusche des Cafés fast vollständig aus. Marie und Gabriel standen in einem engen Treppenhaus, das nur spärlich von einer altmodischen Wandlampe beleuchtet wurde. Eine alte Holztreppe führte steil aufwärts in die oberen Stockwerke.
» Wohnst du… allein?« Marie wusste selbst nicht genau, woher sie den Mut nahm, zu fragen. Aber sie konnte die Worte nicht bei sich behalten. Es kam ihr einfach zu ungewöhnlich vor.
Gabriel wandte sich zu ihr um und sah sie einige Sekunden lang mit undeutbarem Blick an. Seine Augen waren im schwachen Licht dunkel. Dann nickte er, ohne zu lächeln. » Ja«, sagte er, und seine Stimme klang sehr sachlich dabei. » Meine Eltern wollten mich nicht mehr.«
Marie starrte ihn ungläubig an. Seine Eltern…? Ihr fehlten die Worte. Wollte er damit etwa sagen, sie hatten ihn fortgeschickt? Sie konnte sich das kaum vorstellen. Natürlich, auch sie hatte manchmal Probleme mit ihrer Mutter. Eine Zeitlang hatten sie sich sogar fast täglich gestritten. Aber das war doch normal, und sie waren trotzdem eine Familie– sie gehörten zusammen, und ihre Mutter hätte sie niemals im Stich gelassen oder ihr gar endgültig den Rücken gekehrt! Nie im Leben würde Karin das tun, ganz egal, was passierte. Das wusste Marie genau.
Karin…
Bei dem Gedanken an ihre Mutter zog sich Maries Brust schmerzhaft zusammen.
Ein schwaches Lächeln erschien auf Gabriels Gesicht, als wollte er ihr Mitleid beiseiteschieben und sie gleichzeitig trösten– was natürlich misslang. Dann drehte er sich wieder um, legte die Hand auf das geschwungene Geländer und stieg ohne ein weiteres Wort voran. Das Thema war für ihn erledigt, und er wollte auch nicht darüber reden– das begriff Marie, auch ohne dass er es aussprach. Schweigend folgte sie ihm, und mit jedem Schritt hatte sie das Gefühl, sich ein Stück weiter von ihrem gewohnten Leben zu entfernen. Als ob sie immer tiefer in einen skurrilen Traum hineinliefe, dachte sie. Dabei war es nur eine alte Treppe mit knarrenden Stufen, die sie bis ganz nach oben unter das Dach des Hauses führte und vor einer kleinen Holztür endete. Die Tür war kaum höher, als Marie groß war, und vor vermutlich nicht allzu langer Zeit in einem kräftigen Grün gestrichen worden. Sie war mit einem dicken Riegel gesichert, an dessen Vorhängeschloss Gabriel sich nun zu schaffen machte. Sekunden später klickte es leise, und die Tür öffnete sich mit einem Quietschen. Gabriel musste den Kopf einziehen, um nicht gegen den Rahmen zu stoßen, Marie passte gerade eben darunter hindurch. Staunend blieb sie auf der Schwelle stehen.
Gabriels Wohnung bestand nur aus einem einzigen, spärlich eingerichteten Raum mit schrägen Wänden, der durch den dicken Schornstein aus roten Ziegeln nahe der Tür leicht verwinkelt aussah. Ein staubgrünes Sofa stand mitten im Zimmer auf einem bunten Läufer, der die unbearbeiteten Holzdielen ein bisschen wohnlicher wirken ließ. Unter der linken Dachschräge lag eine Matratze mit zerwühltem Bettzeug und in die Ecke neben der Tür drängte sich eine kleine Kochnische. Eine Lampe aus weißem und orangem Papier hing unter dem Dachgiebel und verbreitete ein freundliches Licht. Schließlich fiel Maries Blick auf eine Staffelei, die dicht bei dem kleinen Fenster stand, das sie schon von der Straße aus gesehen hatte. Ein umgekippter Topf lag daneben, in dem noch ein Rest graubraunen Wassers glitzerte. Die
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