Als die schwarzen Feen kamen
ungewöhnlich viel, dachte sie unbehaglich. Und es fühlte sich furchtbar an. Aber eine andere Möglichkeit sah sie im Moment nicht. Irgendwie musste sie ja erklären, warum es ihr gestern so schlecht gegangen war. » Wahrscheinlich hab ich mich irgendwie unterkühlt oder so.«
» Och, du Arme.« Theresas Stimme war voller Mitleid, aber gleichzeitig schwang auch ein bisschen Erleichterung darin mit. » Aber gut, dass es kein Anfall war. Du… hmm… kommst heute Abend aber zum Tanzkurs, oder?«
Tanzkurs. Marie schluckte. Das Wort fühlte sich seltsam fremd an. Als ob es zum Leben einer anderen Person gehörte. Beinahe hatte sie das Gefühl, überhaupt niemals wirklich dort gewesen zu sein. Und doch war es der Ort, an dem alles angefangen hatte, aus der Bahn zu gleiten.
» Ehrlich gesagt, ich denke, das packe ich heute nicht.«
Zumindest das war die Wahrheit, auch wenn es nicht an irgendeiner erlogenen Krankheit lag. Selbst wenn sie Lust gehabt hätte hinzugehen, war da immer noch der Termin mit Dr. Roth, den sie unbedingt wahrnehmen musste, und danach würde sie es nicht mehr rechtzeitig in die Tanzschule schaffen. Aber davon konnte sie nichts erzählen, wo sie doch gerade erklärt hatte, dass es kein Anfall gewesen war. Außerdem war Marie der Gedanke unerträglich, sich unter Menschen zu begeben und auch noch so engen Kontakt mit ihnen aufzunehmen, wie es beim Tanzen nun mal unvermeidlich war. Vorerst war es sicher besser, wenn sie niemandem zu nah kam, solange es nicht unbedingt sein musste. Wenn nun auch noch andere… Marie atmete tief durch, um ihr von einem Augenblick zum anderen aufgeregt pochendes Herz zu beruhigen. Sie durfte jetzt nicht unnötig in Panik verfallen. Sonst würde am Ende doch noch alles aus ihr rausplatzen.
» Schade.« Zu ihrer Überraschung klang Theresa wirklich so, als ob sie enttäuscht darüber wäre, dass Marie heute nicht beim Kurs sein würde. Allmählich kam Marie gar nicht mehr dahinter, was im Kopf ihrer Freundin vor sich ging.
» Na ja, nächste Woche wieder«, sagte sie schnell, bevor sie zu lange darüber nachgrübeln konnte.
Theresa nickte. » Auf jeden Fall. Ach, es ist schön, dass du wieder da bist!«
Marie schluckte. Wenn Theresa bloß wüsste, wie sehr sie sich freute, das zu hören. Aber jetzt übermäßig rührselig zu werden, kam ihr doch irgendwie albern vor. Schließlich hatte sie sich offiziell nur etwas verkühlt.
Zum Glück bemerkte Theresa nichts von den Tränen, die hinter Maries Lidern brannten. » Wir müssen auch bald Kleider für den Abschlussball kaufen. Und glaub nicht, dass du mit so einem Kartoffelsack davonkommst«, fuhr sie fröhlich fort und lachte hell. » Du gehst doch auch mit, Jenny, oder? Wir brauchen deinen Rat als Fachfrau.«
» Na logo, ich bin dabei.« Jenny kicherte.
Marie atmete heimlich auf. Wenn das Gespräch erst einmal auf Klamotten und Einkaufen kam, war es so wunderbar leicht, sich aus der Unterhaltung auszuklinken. Theresa und Jenny fiel das gar nicht auf, und Marie störte es auch nicht, dass die beiden munter darüber diskutierten, was Marie auf dem Ball tragen würde, ohne sie auch nur zu fragen. Der Ball war noch Wochen entfernt, also in einer Zeit, die für Marie im Augenblick in einer fernen Zukunft lag. Aber diesem ganz normalen Geplauder zuzuhören, beruhigte ihre Nerven, die flatterig gewesen waren, seit sie sich am Morgen von Gabriel getrennt hatte. Sie hatte befürchtet, der Tag in der Schule würde schrecklich werden. Aber wenn es so weiterging, hatte sie gute Chancen, die Zeit bis zur Sitzung bei Dr. Roth unbeschadet zu überstehen. Und das war mehr, als Marie sich für diesen Morgen zu wünschen gewagt hatte.
Gemeinsam mit ihren Freundinnen stieg sie die Stufen zum Klassenraum hinauf und genoss es, dass die Gänge, die Treppen und die Menschen um sie herum wieder normal aussahen. Ohne Schatten, die über sie hinweghuschten, und ohne wispernde Stimmen, die alle Alltagsgeräusche dämpften. Selbst der Französischunterricht kam ihr heute nicht halb so schrecklich vor wie sonst.
Trotzdem hätte Marie nur zu gern mit ihren Freundinnen über die vielen verrückten Dinge gesprochen, die ihr in den letzten Tagen zugestoßen waren. Der Drang, dieses Wissen nicht mehr allein mit sich herumzutragen, wurde immer stärker, je weiter der Tag voranschritt. Aber das ging natürlich nicht. Allein das Wissen, dass selbst Theresa, die von Maries früheren Anfällen wusste, bestenfalls schräge Blicke für ihre Geschichte
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