Als die schwarzen Feen kamen
übrig haben würde, überzeugte Marie davon, dass sie auf keinen Fall davon erzählen konnte. Ganz abgesehen davon, was ihre Freundinnen sagen würden, wenn sie hörten, dass sie bei Gabriel übernachtete. Marie wagte kaum, es sich vorzustellen. Also schwieg sie tapfer den ganzen Morgen über. Auch wenn es ihr noch so schwerfiel.
In der Mittagspause steuerten Theresa und Jenny wie gewohnt ihren Stammplatz auf der Heizung beim Oberstufenraum an. Marie folgte ihnen verwundert– und auch ein wenig nervös. Sie hatte fest damit gerechnet, dass sie sich wie auch in der letzten Woche in der Cafeteria aufhalten würden, damit sie Gabriel nicht begegneten. Marie glaubte nicht, dass Theresa Gabriel die Kränkung schon verziehen hatte– auch wenn Gabriel selbst natürlich keine Ahnung von seinem Fauxpas hatte. Nach all der Zeit, die sie in den letzten Tagen mit ihm verbracht hatte, war Marie sich recht sicher, dass er Theresa bisher nicht mehr und nicht weniger beachtet hatte als jedes andere Mädchen aus ihrem Jahrgang. Und wer wusste schon, was Gabriel sah, wenn er Theresa traf? Ganz sicher nicht nur das hübsche Mädchen, das sie äußerlich war, dachte Marie, und fühlte für einen Augenblick fast so etwas wie Schadenfreude. Sogar Theresa musste ein hässliches Wesen in ihrem Schatten haben. Vielleicht war es sogar noch abstoßender als die Feen! Nervös knabberte Marie an dem Käsebrötchen, das sie sich am Kiosk gekauft hatte. Und trotzdem, sicher war Theresa immer noch sauer, weil Gabriel Marie angesprochen hatte. Was würde passieren, wenn er nun hier auftauchte? Und wie sollte sie sich dann verhalten? Unruhig ließ sie ihren Blick zwischen der halb geöffneten Tür zum Oberstufenraum und der Kantine hin und her wandern. Wo war er? War er überhaupt da?
Mit halbem Ohr hörte sie zu, wie Jenny und Theresa sich mit zwei Jungen aus dem Jahrgang über ihnen unterhielten, die sie auf dem Weg zum Oberstufenraum abgefangen hatten. Theresa strahlte und neckte die beiden, die das kleine Spiel ganz offensichtlich nicht unangenehm fanden. Maries Kopf fühlte sich plötzlich schwer an. Deswegen also die Heizung, begriff sie. Theresa war aus Rache hier. Sie wollte Gabriel verletzen, indem sie ihm die kalte Schulter zeigte und mit anderen flirtete. Wie dumm das war. Einmal mehr fühlte Marie den fast unwiderstehlichen Drang, mit der ganzen Wahrheit herauszuplatzen. Aber wie schon zuvor hielt sie sich zurück. Sie würden ihr nicht glauben, weder Theresa noch Jenny. Theresa würde fuchsteufelswild werden– oder sie einfach auslachen. Und keins von beidem glaubte Marie in diesem Augenblick ertragen zu können. Die Feen waren echt und sie waren nicht zum Lachen. Ganz und gar nicht.
Minute um Minute kroch im Schneckentempo an ihr vorbei, und sie begann zu hoffen, dass Gabriel wirklich nicht in die Schule gekommen war– oder sich zumindest nicht zeigen würde. Sie hatte ihr Brötchen kaum halb aufgegessen, als ihr bereits schlecht davon wurde. Trotzdem zwang sie sich, es weiter in winzigen Bissen herunterzuwürgen. Solange sie aß, wunderte sich wenigstens niemand, warum sie nichts sagte. Nur noch eine Viertelstunde, dachte sie. Dann konnte sie zurück in den Klassenraum flüchten, und der Schultag war fast überstanden.
In diesem Moment jedoch versteifte sich Theresa neben ihr. Marie schreckte auf und ihr Blick zuckte zum Eingang der Kantine hinüber.
Alle Hoffnung, die sie mühsam aufgebaut hatte, zerbröckelte in winzig kleine Stücke. Gabriel war doch in der Schule. Und er kam direkt auf sie zu.
Es war die gleiche Situation wie noch vor ein paar Tagen, und gleichzeitig so absurd anders, dass Marie fast gelacht hätte. Wie aus einem Zwang heraus gab sie vor, interessiert dem Gespräch ihrer Freundinnen mit den fremden Jungen zu lauschen, obwohl Jenny und Theresa sich zweifellos ebenso wenig für das interessierten, wovon sie gerade redeten. Um Theresas Mund lag ein verkniffener Zug. Ihre Augen funkelten wütend. Marie sah sich nicht noch einmal um, aber sie wusste, dass Gabriel immer näher kam. Es würde nichts passieren, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, sie musste einfach nur so tun, als hätte sie ihn nicht bemerkt. Er würde an ihr vorbeigehen. Sicher konnte er sich noch an ihre Bitte erinnern…
» Marie. Kann ich kurz mit dir reden?«
Als seine Stimme sie erreichte, war es, als hätte er ihr von hinten ein Messer zwischen die Rippen gerammt. Entsetzt fuhr sie herum. Er stand dort, die Hände tief in den
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