Als die schwarzen Feen kamen
Schreibtisch gestanden hatte.
» Gabriel, du setzt dich am besten hier neben das Kopfende. Vielleicht möchtest du ihre Hand halten?«
Marie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Ihre Hand halten! Warum dachten eigentlich alle…?
Gabriel hingegen schien sich an der Bemerkung des Therapeuten nicht zu stören. Sein Blick, als er sich auf den Hocker sinken ließ, war ernst. Langsam streckte er Marie die Hand entgegen und ganz schwach konnte Marie die goldenen Flecken in seiner Iris sehen. Sein Lächeln war schief und sah fast aus, als wollte er sich entschuldigen. Von der Finsternis, die sein Gesicht an diesem Tag schon so oft verdunkelt hatte, war in diesem Moment nichts zu sehen. Marie hätte vor lauter Nervosität beinahe albern gekichert. Dann aber schloss sie dankbar ihre Finger um seine. Sie durfte das, begriff sie, und sie musste sich dafür nicht schämen. Auch wenn sie immer noch nicht genau wusste, auf welche Weise Gabriel sie nun wirklich mochte– dagegen, ihre Hand zu halten, um ihr zu helfen, hatte er jedenfalls nichts, so viel war sicher.
Dr. Roth war inzwischen zu seinem Sessel zurückgekehrt. Der Blick, mit dem er Marie betrachtete, war sehr sanft.
» Wenn du dann so weit bist, muss ich dir noch ein paar Fragen stellen, bevor es richtig losgeht, um den Einstieg zu erleichtern. Und dich, Gabriel, möchte ich bitten, von jetzt an auf gar keinen Fall mehr in die Sitzung einzugreifen. Ihr wird nichts passieren, du hast mein Wort. Einverstanden?«
Marie schluckte mühsam und schloss ihre Finger ein wenig fester um Gabriels. Flackerte da etwas in seinen Augen? Wieder musste sie daran denken, wie er unter die Decke gestarrt hatte. War das, was er dort gesehen hatte, immer noch da? Vielleicht sogar die Feen? Nein. Er nickte.
» Einverstanden.«
Marie atmete tief durch. Wenn Gabriel es sagte, würde es schon richtig sein. Ihr würde nichts passieren, auch nicht durch Wesen, die Dr. Roth nicht sehen konnte. » Okay«, flüsterte sie und bemühte sich, ihren Atem weiterhin ruhig zu halten. Dann war es jetzt also so weit. Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, wie es sein würde, sich hypnotisieren zu lassen. Sicher war es doch ein bisschen anders, als bloß ein Buch zu lesen, wie Dr. Roth behauptet hatte? Unruhig rutschte sie auf dem Sofa hin und her und versuchte, eine einigermaßen entspannte Position zu finden.
Dr. Roth betrachtete sie gelassen über den Rand seiner Lesebrille hinweg und wartete, bis sie sich in den Polstern zurechtgelegt hatte. Dann erst begann er wieder zu sprechen, mit seiner ruhigen Stimme, von der Marie schon oft bewundernd festgestellt hatte, dass sie jede noch so schwere Frage erträglich machte.
» Wenn du an deinen Vater denkst, Lea Marie– was ist dann das Erste, was dir in den Sinn kommt?«
Marie schluckte und ließ die Frage einige Sekunden in sich nachwirken. Wenn sie an ihren Vater dachte… Das war einfach zu beantworten, aber schwer auszusprechen. Leere breitete sich in ihr aus. Ein langer, steriler Krankenhausflur. Ihre Mutter, die weinte.
» Daran, wie er gestorben ist.« Sie fühlte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, aber sie drängte sie zurück. Gabriel sollte sie nicht weinen sehen, wenn es nicht unbedingt nötig war.
Dr. Roth sah sie mitfühlend an. » Natürlich. Aber kannst du noch weiter zurückdenken? An etwas Schönes? An etwas, das ihr zusammen getan habt? Wie ihr Zeit zusammen verbracht habt?«
Marie holte zitternd Atem und versuchte, sich zu entspannen. Weiter zurück. Weiter… Das war schwer. Sie konnte nichts greifen, nichts erkennen. Hinter diesem schrecklichen Bild des Krankenhauses, das alles überschattete, steckten so viele Erinnerungen, aber sie hatten ihre Form verloren, waren unscharf, verbargen sich hinter diesem Schatten. Dem Schatten… Gabriels warme Finger drückten leicht ihre Hand. Etwas flackerte in der Tiefe ihrer Erinnerungen. Schatten… Marie hielt sich an dem Wort fest, als ob ihr Leben davon abhinge. Schatten… Sie war nah dran, das Wort wies in die richtige Richtung, das spürte sie plötzlich deutlich. Ja, das war es: Der Schatten hatte das Licht vertrieben!
» Da war überall Licht«, flüsterte Marie, verblüfft über diese unerwartete Erkenntnis. Eine erste Träne rollte über ihre Wange. Aber das war ihr jetzt egal. Mit einem Mal war da eine Erinnerung in ihrem Kopf, winzig nur, aber strahlend klar, wie eine Glasperle, die in der Sonne funkelte. Sie vertrieb den Schmerz und verbreitete einen
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