Als die schwarzen Feen kamen
warmen Glanz in Maries Innerem. » Wir haben im Licht auf meinem Bett gelegen und uns Geschichten erzählt. Es war Sommer.«
Dr. Roth schwieg eine Weile. Ein leichtes Lächeln lag in seinen Mundwinkeln. » Das ist gut«, sagte er dann. » Sehr gut, Lea Marie. Ich denke, damit können wir anfangen.« Er stand auf und holte aus einer seiner Schreibtischschubladen einen kleinen, geschliffenen Glastropfen, der an einer dünnen Schnur baumelte. Das Licht vom Fenster fing sich glitzernd darin, als er die Schnur mit Hilfe eines starken Drahtes und einer Klemme an der Sofalehne befestigte, sodass der Anhänger direkt über Maries Gesicht baumelte.
» Also, bist du bereit?«
Marie nickte schwach. Sie war immer noch verwirrt, aber die Perle der Erinnerung wärmte sie, glitzerte wie der Glastropfen über ihr, und die Sonne streichelte ihre Wangen, als käme sie direkt aus diesem glücklichen Moment in Maries Vergangenheit. Ja, sie wollte mehr davon. Sie war bereit.
Dr. Roth stieß den Glastropfen leicht mit dem Finger an, der nun begann, gleichmäßig hin und her zu schaukeln.
» Gut. Dann möchte ich, dass du dich jetzt auf den Tropfen konzentrierst, und nur auf den Tropfen. Folge ihm mit den Augen. Folge ihm mit deinen Gedanken. Lass deinen Geist mit ihm schwingen.«
Marie richtete den Blick auf den glitzernden Punkt, der sich gleichmäßig über ihr hin und her bewegte. Anfangs fiel es ihr schwer, die Bewegungen ihrer Augen dem Rhythmus anzupassen. Aber Dr. Roth sprach mit gelassener Stimme weiter.
» Du wirst ruhig. Dein Körper entspannt sich und wird ganz schwer. Der Schnee draußen schmilzt. Die Bäume und Wiesen sind saftig grün. Wir kehren zurück in den Sommer. Es ist ein wunderschöner Nachmittag. Die Sonne scheint. Die Strahlen sind warm auf deinem Gesicht. Du liegst auf dem Bett in deinem Zimmer…«
Nach und nach spürte Marie, wie ihr Blick dem Glastropfen wie von selbst folgte. Mit jeder Silbe und jedem Schwung des Pendels trat der Raum mehr in den Hintergrund. Der Anhänger wurde zu einem Lichtpunkt, der über ihr hin und her schwang, im gleichen Takt wie das sanfte Auf und Ab der Stimme, deren Worte Marie nun wie ein weiches, dunkles Tuch sanft einhüllten. Sie fühlte sich warm und schwer, und ihre Körpergrenzen schienen sich aufzulösen, bis sie ganz eins war mit der Wärme und der Dunkelheit. Der schaukelnde Lichtpunkt wurde kleiner, entfernte sich immer weiter, und Marie trieb davon in eine samtige Schwärze. Doch kurz bevor sie das Licht ganz aus den Augen verlor, näherte es sich wieder, wurde größer und immer heller, bis Marie geblendet die Lider zusammenkneifen musste. Als sie sie blinzelnd wieder öffnete, fiel sanftes Licht auf ihr Gesicht. Marie spürte, wie alles in ihr frei und leicht wurde. Es fühlte sich seltsam unwirklich an, als wäre sie eigentlich gar nicht hier. Aber diese grünen Hügel, die kannte sie, und auch die Stadt, die dort in der Sonne schimmerte wie ein riesiger Haufen schwarzer Edelsteine.
» Der Boden ist schwarz-weiß, wie ein Schachbrett. Das gibt es sonst in keiner Stadt«, sagte eine vertraute Stimme neben ihr. Maries Herz machte einen Satz und unbeschreibliche Freude überflutete sie. » Papa!«
Blaue Augen lächelten sie an. » Jetzt bist du wieder dran.«
Marie fühlte ihren Atem für einen Augenblick stocken. Sie erinnerte sich. Sie hatte dieses Gespräch geführt. Damals. Vor so langer Zeit, auf dem Bett in ihrem Zimmer, in der Nachmittagssonne. Und nun wusste sie auch wieder, was sie geantwortet hatte.
» In der Mitte steht ein Turm, von dem aus man die ganze Welt sehen kann! Da wohne ich!«
Und vor Maries Augen wuchs ein schlanker Turm im Zentrum der Stadt in die Höhe.
» Wie denn– du wohnst dort?« Eine große Hand zauste zärtlich ihre Haare. » Und wo soll ich dann wohnen?«
Das Kichern eines kleinen Mädchens hallte in Maries Kopf wider. » Ach, du kannst ja mein Diener sein!«
Gespielte Enttäuschung in den blauen Augen. » Nicht dein Prinz?«
Fröhliches Kinderlachen wehte über die Hügel. » Nein, Papa! Du kannst doch nicht mein Prinz sein! Mein Prinz ist jung und stark, er hat ein Schwert, und er trägt eine Maske wie ein Ninja!«
» Ach so.« Ein Lächeln, liebevoll und warm. » Ja dann bin ich wohl doch besser der treue Diener. Und wer wohnt sonst noch in deiner Stadt?«
» Hmm… was man halt so braucht. Ein Bäcker, ein Fischverkäufer, ein Hufschmied und eine Weberin… und ganz viele Menschen, die tanzen und singen und immer
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