Als die Uhr dreizehn schlug
Moment lang: Vielleicht – nein, gewiss sah sie älter aus, als er sie bisher gekannt hatte. Hatty war ebenso älter geworden wie die anderen Melbournes, und Tom hatte es nicht bemerkt, weil sie so oft zusammen gewesen waren und weil er auf solche Dinge nicht achtete.
»Nun, wie geht's dir?«, fragte Tom. Sie noch länger anzustarren wäre unhöflich gewesen.
»Sehr gut«, sagte Hatty. »Der Doktor sagt, den Kratzer sieht man bald nicht mehr. Und James hat mich besucht und er meint, ich müsse in Zukunft statt von Bäumen zu fallen andere Dinge unternehmen.«
»Ohne mich?«, sagte Tom und dachte an die Geselligkeiten für Erwachsene, von denen James gesprochen hatte.
»O nein, Tom, du kannst immer mitkommen, wenn du willst!« Doch Tom spürte, dass sie zu ihm sprach, als wäre er noch ein Kind und sie keines mehr.
»Setz dich und unterhalte dich ein wenig mit mir, Tom«, bat sie ihn.
Er setzte sich ans Bettende und sah sich im Zimmer um. »Ein schönes Schlafzimmer hast du.« Es war ein geräumiges Zimmer – wie alle Zimmer in dem stattlichen Haus der Melbournes. Es hatte eine große Kommode und zwei große Fenster, zwischen denen Hattys Bett stand; doch unten an den Fenstern – »Du hast Gitter an den Fenstern«, sagte Tom, »wie in einem Zimmer für kleine Kinder.« Und irgendwo in seinem Kopf schienen Worte widerzuhallen, die er einmal gesagt oder gehört hatte; und tatsächlich, die Gitter an den Fenstern erinnerten ihn an etwas, das er einmal gesehen hatte.
»Es war ein Kinderzimmer«, sagte Hatty. »Das Kinderzimmer meiner Vettern, als sie noch klein waren; und danach meines. Und dann, weil ich das letzte Kind war, blieb es einfach meins. Jetzt ist es mein Schlafzimmer.«
Tom starrte die Fenster an, als wäre er in Trance versetzt: Er hatte sie schon einmal gesehen, das wusste er, oder vielmehr nur eines der Fenster – nein, noch genauer, jedes Fenster, doch jeweils einzeln und nie zusammen.
»Wo ist in diesem Haus das Badezimmer?«, fragte Tom.
»Das Badezimmer?«
»Wo nimmst du dein Bad?«
»Ich bade natürlich hier in meinem Schlafzimmer. Die Jungen in ihren Zimmern.«
»Hier?«, sagte Tom und sah sich verblüfft um. »Wie denn?«
»Was fragst du denn: Da ist die Zinkwanne, und Susan bringt Kannen mit heißem Wasser aus der Küche hoch. Im Winter wird hier Feuer gemacht und ich nehme mein Bad am Feuer.«
»Man könnte hier ein richtiges Badezimmer einrichten«, sagte Tom, als ob er es schon fertig vor sich sehen würde. »Man könnte eine Trennwand durch die Mitte des Zimmers ziehen, hier, sodass auf beiden Seiten der Wand ein Fenster wäre. Dann könnte dieser Teil immer ein Schlafzimmer bleiben und aus dem Raum drüben könnte man ein Badezimmer machen.«
Hatty hielt das für überflüssig und für eine dumme Idee, und das sagte sie ihm auch. »Außerdem wäre dann das Zimmer hier nur ein schmaler Schlauch.«
»Ja«, stimmte ihr Tom zu, »und die Trennwand wird – wäre dünn und du könntest immer das Wasser nebenan laufen hören, wenn du hier im Bett liegst.«
»Darauf hätte ich keine Lust«, sagte Hatty bestimmt.
»Ich glaube nicht, dass du es je erlebst«, sagte Tom. »Andere Leute vielleicht.«
Er ging hinüber zum Fenster und sah hinaus. Sein Blick wanderte weit in die Ferne: zuerst über einen Rasen, an dessen Ende eine riesige Buche nachdenklich die Aste hängen ließ; über eine Hecke; einen Weg, wiederum eine Hecke; eine Wiese mit einer großen Ulme in der Mitte …
Tom holte tief Luft: »Dein Zimmer mag ich lieber«, sagte er, »und die Aussicht hier noch viel lieber.«
»Kannst du den Fluss hinter der Wiese sehen?«, fragte Hatty. »Aber lieber als was, Tom?«
»Lieber – lieber als wenn es nichts als Häuser auf der anderen Seite gäbe.«
Hatty lachte. »Sei nicht albern, Tom! Wenn das so wäre, würden wir nicht am Rand eines Dorfes wohnen, wie jetzt, sondern in einer Stadt.«
»Oder in einem Dorf, das so gewachsen ist, dass es eigentlich eine Stadt ist.« Tom wechselte jetzt das Thema. »Wie oft badest du, Hatty?«
»Einmal die Woche. Und du?«
»Jeden Abend. Aber ich glaube, ich würde lieber seltener baden und dafür dieses Zimmer und diesen Blick haben.«
Hatty sah ihn verwirrt an. Sie konnte nicht begreifen, wie seine Gedanken zusammenhingen, und verstand auch nicht die Wehmut, die ihn offenbar überkommen hatte. »Tom, es gibt keinen Grund, traurig zu sein.«
Tom dachte über die Vergangenheit nach, die die Zeit so weit entfernt hatte. Die Zeit hatte
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