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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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diesem Abend nach Hause gekommen, nahm ihn seine Frau beiseite, um mit ihm zu sprechen. Zunächst redete auch er mit erregter Stimme drauflos, doch schließlich verstummte er. Und am Ende schwiegen beide eine Weile, bis er sagte: »Vielleicht hast du Recht, das sollte ich tun.«
    »Tom, ich entschuldige mich«, sagte der Onkel beim Abendessen, doch so würdevoll, dass Tom sich von seinen Worten buchstäblich erdrückt fühlte.
    Tom glaubte, das Thema Zeit würde nun nicht mehr angesprochen; doch der Onkel war jetzt entschlossen, das, was am Morgen geschehen war, gründlich wieder gutzumachen. Nach dem Essen holte er Papier und Bleistift und begann Schaubilder und Pfeile zu zeichnen: »Tom, stell dir dies als Punkt in der Zeit vor …« Später forderte er Tom auf, sich einen Maler vorzustellen, der in einer Landschaft steht und sie malt, und noch einen zweiten Maler, der nach ihm kommt und dieselbe Landschaft mit dem Bild des ersten Malers von der Landschaft malt, dann einen dritten Maler, der noch später kommt und diese Landschaft malt mitsamt dem Bild des ersten Malers und dem Bild des zweiten Malers vom Bild des ersten Malers, schließlich dann einen vierten Maler … »Ich hoffe, dieser Vergleich hat die Sache etwas klarer gemacht, Tom«, sagte der Onkel. »Oder nimm mal ein anderes Beispiel. Stell dir vor …« Toms Gesicht wurde allmählich ganz steif davon, eine Miene aufzusetzen, die Verständnis bekundete. In Wahrheit wollte er jetzt einfach losweinen wie ein kleines Kind, denn er verstand nichts, und doch war alles so wichtig für ihn.
    Dann, ganz beiläufig, erwähnte Onkel Alan einen Namen, den er kannte. »Denk zum Beispiel mal an Rip van Winkle«, sagte er, »oder besser nicht, das ist wohl nicht sehr einleuchtend. Nein, denk dir mal einen neuen Punkt in der Zeit, den wir A nennen.«
    Doch zu spät: Tom hatte den Faden schon aufgenommen, denn Rip van Winkle war der Erste, den der Onkel erwähnt hatte, über den Tom wirklich etwas wusste. Tatsächlich wusste Tom alles über ihn. Rip van Winkle war eines Tages in den Bergen Nordamerikas auf die Jagd gegangen und an einem verzauberten Ort eingeschlafen. Ihm kam es vor, als hätte er dort nur eine Nacht verbracht, doch als er schließlich wieder hinabstieg zu seiner Familie, stellte sich heraus, dass zwanzig Jahre vergangen waren.
    Ja, dachte Tom, war er nicht selbst sozusagen ein verkehrter Rip van Winkle? Statt zwanzig Jahre in die Zukunft zu gehen ging er mehr als hundert Jahre zurück, in die Zeit, als Hatty gelebt hatte. Er ging nicht jede Nacht zu genau demselben Tag zurück und erlebte die Zeit auch nicht in ihrem üblichen Ablauf. Die Tanne zum Beispiel, er hatte sie im Garten stehen sehen, dann wurde sie umgeweht und später war sie wieder an ihrem Platz gewesen – auch letzte Nacht noch. Er hatte Hatty als Mädchen in seinem Alter gesehen, dann als viel jüngeres und vor kurzem als Mädchen, das ihm allmählich über den Kopf wuchs – auch wenn Tom es sich noch nicht ganz eingestehen wollte. Er hatte Hattys Zeit – die Zeit des Gartens – in Abständen aufleuchten sehen, und in Hattys Zeit waren insgesamt etwa zehn Jahre verflogen, während seine eigene Zeit nur die Wochen der Sommerferien zurückgelegt hatte.
    »Man könnte sagen«, meinte Tom langsam und wandte sich wieder dem Onkel zu, dem er nicht mehr gefolgt war, »man könnte sagen, verschiedene Menschen haben verschiedene Zeiten, die natürlich alle Abschnitte der gleichen großen Zeit sind.«
    »Nun«, sagte der Onkel, »man könnte genauer sagen –« Doch Tom ließ sich nicht beirren. »Sodass ich aus irgendeinem Grund vielleicht in die Zeit von jemand anderem zurückgehen könnte, in die Vergangenheit. Oder, wenn du magst« – jetzt sah er alles und zum ersten Mal aus Hattys Sicht – »sie könnte mich einholen in meiner Zeit, die ihr als Zukunft erscheint, während sie mir als Gegenwart vorkommt.«
    »Es wäre viel klarer, Tom«, sagte der Onkel, »wenn wir zu diesem Punkt A zurückkehren –«
    Doch Tom fuhr fort: »Wie auch immer es ist, sie wäre genauso wenig ein Geist aus der Vergangenheit wie ich ein Geist aus der Zukunft bin. Keiner von uns ist ein Geist und auch der Garten nicht. Damit ist die Sache klar.«
    »Wovon redest du eigentlich?«, sagte Onkel Alan verärgert. »Gärten? Und was ist jetzt klar? Wir sprechen über Möglichkeiten – Theorien.«
    »Aber«, sagte Tom, »wenn jemand tatsächlich von einer Zeit in eine andere getreten wäre – einfach so –, das

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