Als die Uhr dreizehn schlug
und stolperte zum Ufer. Dort stellte sie sich mit nach innen gekehrten Zehenspitzen auf, als ob ihre Schlittschuhe es sich sonst in die Köpfe setzen würden, in entgegengesetzte Richtungen davonzujagen.
»Hatty«, sagte Tom. »Ich wollte, dass du – du hast versprochen –«
»Aber du bist ja dünner geworden!«, sagte Hatty und runzelte die Stirn.
»Dünner?«, sagte Tom. »Nein, ich bin dicker geworden.« Das wusste er sicher, denn Tante Gwen hatte vor kurzem einen Penny ausgegeben und ihn wiegen lassen, und mit dem Ergebnis war sie sehr zufrieden gewesen.
»Das hab ich nicht gemeint; ich meinte durchsichtiger«, sagte Hatty und setzte mit verlegenem Blick hinzu: »O nein, das hab ich auch nicht gemeint – ich weiß auch nicht so recht, was ich eigentlich meine –«
»Das ist jetzt nicht wichtig«, sagte Tom ungeduldig, »aber ich will, dass du die Geschichte mit der Standuhr für mich klärst.« Er bemerkte, wie Hatty unsicher wurde, und fügte deshalb hinzu: »Du hast gesagt, du würdest es tun.«
»Hab ich?«
»Als du aus dem Baumhaus gefallen bist. Danach haben wir darüber gesprochen.«
»Ach, das ist lange her! Wenn du schon so lange gewartet hast, Tom, könntest du dann nicht ein wenig mehr Geduld haben? Willst du mir nicht lieber beim Schlittschuhlaufen zuschauen?« Hastig erzählte sie, es ginge schon viel besser und bald werde sie mit den anderen zusammen Schlittschuh laufen – mit Hubert und James und Edgar und Bertie Codling und den Chapman-Schwestern und dem jungen Barty und all den andern. »Magst du nicht auch, Tom? Hast du es nie gelernt?«
»Doch«, sagte Tom. »Aber Hatty, halt jetzt bitte dein Versprechen und schließ die Standuhr für mich auf und zeig mir, was das Bild bedeutet!«
Seufzend ließ sich Hatty auf den Gartenstuhl sinken, zog Schlittschuhe und Stiefel aus und ihre gewöhnlichen Schuhe an und ging mit Tom ins Haus zurück. Unterwegs fing sie an zu murmeln, und Tom verstand sie kaum. Das Bild habe mit einer Offenbarung zu tun – so ungefähr jedenfalls verstand Tom, was sie sagte.
Im Hausflur stellte sich Hatty vor die Standuhr und lauschte einen Moment lang aufmerksam. »Tante ist sicher oben.« Sie drehte den Schlüssel am Pendelkasten und öffnete das Gehäuse. Während sie nach dem Riegel für die Abdeckung des Zifferblatts suchte, warf Tom einen Blick ins Innere des Pendelkastens. Er sah Schatten und Spinnweben; und dann sah er das Pendel, das mit dem Ticken der Uhr hin- und herschwang. Das Gewicht am Ende des Pendels war eine flache, runde Metallscheibe. Sie war vergoldet und leuchtete beim Schwingen wie eine Sonne. Tom bemerkte über dem Goldbezug einen Blütenkopf aus Buchstaben; obwohl das Pendel schwang, konnte er erkennen, was dort geschrieben stand: »Keine Zeit mehr.«
»Keine Zeit mehr?«, sagte Tom verdutzt.
»Ja«, sagte Hatty, mit dem unvertrauten Hebel kämpfend. »Das ist es.«
»Aber wer hat keine Zeit mehr?«
»Nein, nein! Du verstehst nicht. Warte –«
Endlich fand sie den Riegel und schob ihn zurück. Dann öffnete sie die Glasabdeckung des Zifferblatts und deutete auf die Worte, die dort, weit unter den gespreizten Füßen des Engels mit dem Buch, geschrieben standen. »Sieh mal. Ich wusste noch, dass es das Buch der Offenbarung war, aber ich konnte mich nicht mehr an das Kapitel und den Vers erinnern.«
Tom las: »Off. X, 1-6.« Er wiederholte es laut, um es sich einzuprägen, doch Hatty unterbrach ihn: »Schhh! War da nicht jemand oben?« Starr vor Schreck schloss sie den Uhrenkasten und rannte mit Tom im Schlepptau in den Garten.
»Offenbarung, Kapitel zehn, Vers eins bis sechs«, wiederholte Tom unterwegs.
»Ich sollte meine Bibel holen und es für dich nachschlagen«, sagte sie. Doch sie schien gar nicht erpicht darauf zu sein, ins Haus zurück und nach oben zu gehen.
Dann fiel Tom ein, dass Abel seine Bibel im Heizungshaus aufbewahrte, und sie machten sich auf den Weg dorthin. Tom stutzte, als er sah, wie mühelos Hatty jetzt die Tür öffnen konnte: Sie konnte den Haken oben an der Tür lösen, ohne sich auf die Zehenspitzen stellen zu müssen. Offensichtlich war sie um einiges gewachsen seit jenen frühen Tagen im Garten.
Drinnen im Heizungshaus sah es jetzt im Winter ganz anders aus. Unter dem Heizkessel loderte ein Feuer, um das Wasser für die Rohre im Gewächshaus zu erwärmen, der kleine Raum war stickig warm und von glühend rotem Licht erfüllt. Hatty fand die Bibel, ohne lange suchen zu müssen, und brachte sie Tom
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