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Als die Welt zum Stillstand kam

Als die Welt zum Stillstand kam

Titel: Als die Welt zum Stillstand kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Neumayer
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der Fenster führte. Die Illusion war nahezu perfekt – bis sich in dem Fenster ein senkrechter weißer Spalt öffnete. Er wurde schnell größer und gab den Blick frei auf blauen Himmel, die Lehmmauer einer uralten Moschee – und einen glatzköpfigen Riesen mit einem Sektglas in der Hand.
    »Wo sind wir jetzt? Toronto?«, fragte der Riese, als er ins Zimmer polterte.
    »Tel Aviv«, antwortete Arvid.
    »Packy!« Der Mann trampelte über den Streifen Grün ins Zimmer. »Und wo ist Denise?«
    Arvid versuchte freundlich zu bleiben. Der ungehobelte Kerl schrieb für das World Art Magazine . »Sie meinen Delilah? Die steht da hinten, mit Christine Savage.«
    Der Kerl hob dankend sein Glas und eilte davon. »Denise! Und Christine!«
    »Was für ein Idiot!«, sagte ein Mädchen – nicht älter als siebzehn, knallblauer Dutt, Lidtattoos –, das auf einmal neben Arvid stand. Sie betrachtete den Streifen Erde und das Tor mit der Screen, das nun wieder geschlossen war und sich in nichts von den anderen Fenstern unterschied.
    »Der würde ein Kunstwerk nicht mal erkennen, wenn es ihn in den Hintern beißt«, fügte sie hinzu.
    Arvid lachte. Das Mädchen ging ganz nah an das Tor heran und strich sanft über die Screen. Zwei Hochhäuser waberten wie Gelee und ein Holo-Display erschien. Hastig zog sie ihre Hand zurück.
    »Delilah hat nichts dagegen, wenn man ihre Kunst anfasst«, sagte Arvid.
    »Sie ist so packy!«, schwärmte das Mädchen. »Unglaublich, dass vorher noch keiner da draufgekommen ist, so ’n Kunstwerk über mehrere Kontinente zu bauen.«
    Arvid lächelte. »Die Kunstmagazine sollten Sie mal ranlassen. Sie würden bestimmt bessere Kritiken schreiben als die da hinten. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie Delilahs Installation überhaupt verstehen.«
    »Das versteht doch ’n Blinder mit Krückstock!« Versonnen betrachtete sie die Installation. »Jeder Ort auf der Welt ist mit jedem anderen verbunden. Man kann von hier aus direkt nach Timbuktu gehen oder nach Tikapur oder Toronto.« Sie deutete auf das Grün. »Und alles ist verbunden durch die Natur und die findet überall ihren Weg.«
    Arvid hob anerkennend die Augenbrauen. Sie hakte sich bei ihm ein. »Was halten Sie davon, wenn wir uns auch noch den Rest davon ansehen?«
    »Nichts lieber als das«, sagte Arvid. »Wie wäre es als Erstes mit Timbuktu?«
    Sie gingen auf das Tor zu.
    »Was ist denn mit dem Display?«, fragte das Mädchen.
    »Keine Ahnung.« Arvid wedelte mit der Hand vor dem Tor herum – ohne Erfolg. Das Display blieb unsichtbar. Er fuhr zusammen, als jemand schrie: »Die Tore funktionieren nicht! Ich hab’s bei dreien versucht, alle tot!«
    »Ach was, die funktionieren immer!«, sagte ein anderer.
    »Aber ich muss in zehn Minuten in Bangladesch sein!«, rief eine Frau.
    »Und wir brauchen neuen Schampus«, ließ sich der glatzköpfige Kritiker vernehmen.
    Das Mädchen klammerte sich an Arvids Arm.
    »Wenn die Tore wirklich ausgefallen sind«, sagte Arvid, »dann ist Schampus unser geringstes Problem.«
    Genf, europäisches UNO-Hauptquartier
    Kemal Aydin lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden des Menschenrechtssaals und stellte sich vor, die Zapfen der blau-bunten Kuppel würden sich einer nach dem anderen lösen und ihn aufspießen.
    Mittlerweile konnte er sich das so lebhaft ausmalen, dass er die Zapfen manchmal sogar wackeln sah. Dann rollte er sich jedes Mal schnell zur Seite und Sue lachte ihn aus.
    Dieses Spiel spielte er jeden Tag kurz vor Feierabend, wenn er überhaupt keine Lust mehr hatte, zu putzen. Das Spiel machte ihm klar, dass es aber doch noch etwas Schlimmeres gab. Zum Beispiel bewegungslos auf die Erde genagelt zu sein und einen langsamen, blutigen Tod zu sterben.
    »Kemal, hör auf mit dem Scheiß und komm her! Heute könnten sie es tatsächlich schaffen, das erste freie Tor im Jemen aufzustellen, und du liegst da rum wie Jesus beim Yoga!«
    Sue winkte ihn energisch zu sich herüber.
    Es war ihm ein Rätsel, wie sie unentwegt auf eine Screen starren und trotzdem schneller und gründlicher putzen konnte als er. Auch jetzt wischte sie die endlosen im Kreis angeordneten Tische der mächtigsten Organisation der Welt, ohne einen einzigen Zentimeter auszulassen – soweit er das beurteilen konnte –, während sie das Geschehen auf der Screen mit Adlerblick verfolgte.
    »Setz dich hin!« Sue wusste, dass er immer nur eine Sache auf einmal tun konnte. Offenbar war es ihr ziemlich wichtig, dass er diesen Bericht sah.

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