Als die Welt zum Stillstand kam
aus, wie er befürchtet hatte, zumindest von vorn. Nur ihre Schulter durfte er sich nicht zu genau ansehen. Dort hatte der Bär die Halsschlagader durchtrennt.
Zwei Korallenketten lagen zerrissen neben Camille auf dem Boden, ebenso ihre pinkfarbene Perücke. Unter der Perücke hatte sie kurze, dunkelbraune Haare gehabt.
Bernie schluckte den Kloß in seinem Hals runter, holte den Klappspaten, der mit dem anderen Werkzeug zusammen in einer Seitenklappe des Roachys untergebracht war, und begann zu graben.
Kurz darauf war er klatschnass. Wegen des leichten, aber beständigen Regens und der achtundzwanzig Grad, die das Display des Roachys anzeigte, war es so schwül, dass einem schon der Schweiß ausbrach, wenn man sich nicht bewegte. Aber Bernie bewegte sich: Er grub, so schnell er konnte. Er wollte das hier hinter sich bringen. Vielleicht kam der Bär ja zurück?
Nein, das war unwahrscheinlich. In einer der Dokus über die mecklenburgische Wildnis hatte Bernie zwar gesehen, dass es inzwischen wieder Bären, Wölfe und andere wilde Tiere dort gab. Weil seit 2024 die Straßen kaum noch genutzt wurden, waren die Wanderwege vieler Tiere nicht mehr unterbrochen. Aber wilde Tiere waren von Natur aus scheu und hielten sich von den Menschen fern, solange man sie nicht reizte.
Was hatte Camille getan, um den Bären zu reizen? Bernie konnte sich nur vorstellen, dass sie ihm unabsichtlich direkt vor die Schnauze gelaufen war.
Er musste Augen und Ohren weit offen halten, damit ihm nicht dasselbe passierte.
Zwei Stunden später war es endlich geschafft. Bernie war schweißgebadet und fix und fertig. Aber das Schwerste kam erst noch.
Er brauchte eine Weile, bis er sich überwinden konnte, Camille anzufassen. Er packte sie nicht unter den Achseln, weil das zu nah an der Stelle war, wo der Bär zugebissen hatte, sondern zog sie an den Beinen weg. Als er den riesigen rostbraunen Fleck unter ihrem Körper sah, hätte er sich fast noch einmal übergeben. Aber schließlich schaffte er es doch, Camille zum Grab zu ziehen. Sie fiel eher hinein als zu gleiten, aber Bernie konnte nichts dagegen tun, weil er alles allein machen musste. Als Camille unten lag, fiel ihm noch etwas ein. Er holte die Perücke und setzte sie ihr auf.
Vom Rand des Grabes aus betrachtete er sie. Sie sah richtig friedlich aus. Und plötzlich hatte er die irrationale Idee, sie würde gleich die Augen aufschlagen und ihm lachend verkünden, dass das alles wieder nur einer ihrer doofen Tests gewesen war. Aber natürlich passierte nichts dergleichen.
Bernie überlegte, ob er beten sollte, aber das hatte er noch nie getan und er glaubte auch nicht, dass Camille darauf Wert gelegt hätte. So stand er einfach eine Weile am Grab, sah auf sie hinunter und erinnerte sich daran, was sie zusammen erlebt hatten. Sie war die beste Ausbilderin gewesen, die er sich hätte wünschen können – auch wenn er das nicht gleich gemerkt hatte. Er hätte in den nächsten drei Jahren noch viel von ihr lernen können. Aber sie war tot, und er musste sehen, wie er hier wieder rauskam.
Bernie wischte sich das regennasse Gesicht ab und schaufelte das Grab zu.
Als er damit fertig war, suchte er nach einem passenden Grabstein und entschied sich schließlich für das Display des Tors. Das wäre sicher ganz im Sinne der Tortechnikerin gewesen. Auf ein glattes Stück der Torwand schrieb er noch ihren Namen und steckte es in die Erde am Kopfende des Grabs. Danach musste er sich mehrmals übers Gesicht wischen, bis es halbwegs trocken war. Verdammter Regen.
Bernie aß und trank etwas, dann nahm er sich den Computer des Roachys vor. Alle netzbasierten Funktionen waren ausgefallen, wie bei dem Tor und den MoPads auch, aber der Roachy war trotzdem funktionsfähig. Sein Steuerprogramm basierte auf neuronalen Netzen, die lernfähig waren, und er arbeitete – wie alle Roachys – nach dem Prinzip vernetzter Intelligenz. Kurz gesagt: Der Roachy war sehr selbstständig, plante seine Bewegungen autonom und war weder durch den Verlust eines Beines noch durch den nervtötenden Dauerregen aus dem Konzept zu bringen.
Es war nur ärgerlich, dass Bernie wegen des Sonnensturms nicht nach GPS navigieren konnte. Aber irgendwie würde es auch so gehen und Bernie hatte es ja nicht weit.
Nur weg hier. Bernie war der geborene Großstadtmensch und das Leben auf dem Land war überhaupt nichts für ihn. Deshalb hatte es ihm als Kind in Indien auch nicht besonders gut gefallen. Aber nun war er froh, dass er auf
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