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Als die Welt zum Stillstand kam

Als die Welt zum Stillstand kam

Titel: Als die Welt zum Stillstand kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Neumayer
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gerade dieses Konzert vor.«
    »Ich hab davon gehört«, sagte Karen. »Gute Idee, das wird uns auf andere Gedanken bringen.« Sie seufzte. »Allerdings waren sie im Rat strikt dagegen, auch Besucher von draußen zuzulassen, die nicht sowieso einen Passierschein haben. Ich habe mir den Mund fusselig geredet, aber da war nichts zu machen. ›Unkalkulierbares Risiko‹, wenn ich so was schön höre! Und was ist mit unseren hehren Idealen? Die gelten offenbar nur für gute Zeiten.«
    Sie schwiegen eine Weile. Vor Kurzem hatten sie hier noch vor allem Grillen und Vögel hören können. Jetzt war da ein ständiges Rauschen von den Baustellen überall und den vielen Menschen, die in den Straßen unterwegs waren.
    »Karen, ich brauche deine Hilfe«, sagte Celie plötzlich. »Ich möchte Instrumente nach draußen schaffen, um die Kinder dort zu unterrichten.« Celie beugte sich vor. »Diese Kinder … sie brauchen etwas, das ihnen Spaß macht – trotz allem. Oder gerade deshalb. Ich möchte Musik mit ihnen machen. Nicht hier, wo keiner sie will, sondern da, wo sie jetzt leben.«
    »Das ist eine wunderbare Idee. Und natürlich helfe ich dir. Ich weiß nur nicht …«
    Karen runzelte nachdenklich die Stirn, aber dann schüttelte sie ihre Bedenken offenbar ab. »Wir machen es so: Ich stelle dir Passierscheine für die Stadt für jedes Kind aus, das du mir namentlich nennen kannst. Außerdem machst du mir eine Liste mit den Instrumenten, die du mit rausnehmen willst, und ich unterschreibe, dass du sie täglich von, sagen wir, 9 bis 17 Uhr aus der Stadt bringen darfst.«
    »Und das geht einfach so?«, fragte Celie erstaunt.
    Karen lächelte vor sich hin, sah aber nicht fröhlich dabei aus. »Zurzeit haben die Ratsmitglieder weitgehende Befugnisse. Ich bezweifle allerdings, dass er uns noch lange …« Sie setzte neu an: »Was ich sagen will: Nutze die Passierscheine möglichst ausgiebig, bevor sie widerrufen werden.«
    »Aber …«
    Karen nahm Celies Hand und hielt sie ganz fest. »Wenn es schlimmer wird – und das ist nur eine Frage der Zeit –, dann wird die Demokratie als Erstes auf der Strecke bleiben. Die alten Regeln werden nicht mehr lange gelten, und wer weiß, was dann passiert.«
    Celie war entsetzt darüber, wie verzweifelt die alte Ärztin klang.
    »Pass auf dich auf, Dawn. Bitte pass gut auf dich auf. Und benutze die Passierscheine nur so lange, wie … Achte auf die Durchsagen. Du wirst wissen, wann es so weit ist.«
    Celie wollte noch so viel fragen, aber Karen schüttelte den Kopf.
    Zusammen gingen sie ins Rathaus, wo Karen die Scheine ausstellte.
    »Pass auf dich auf, Dawn«, sagte sie zum Schluss noch mal. Sie schien mit sich zu kämpfen, aber dann fügte sie hinzu: »Und halt dich von Jason fern. Ich weiß, er ist charmant und er interessiert sich für dich, und für ein Mädchen von siebzehn muss das sehr schmeichelhaft sein. Aber«, sie sah sich um, ob jemand in ihrer Nähe war, »er ist gefährlich. Trau ihm nicht.«
    »Ich weiß«, sagte Celie.
    Karen wirkte überrascht, doch dann nickte sie und umarmte Celie. Sie duftete nach Seife und Krankenhaus und Celie kamen die Tränen.
    »Mach’s gut, Dawn«, sagte Karen.
    »Ich heiße Celie«, sagte Celie.
    Und als Karen zurück zum Krankenhaus eilte, klein und gebeugt, wusste Celie mit einem Mal, dass sie sie nicht wiedersehen würde.
Calais
    Es war Ende September, als sie Calais erreichten. Die Luengo-Familie war noch vollzählig, bis auf die dreijährige Carlita. Sie war bei einem Überfall niedergetrampelt worden und zwei Tage später an ihren inneren Verletzungen gestorben. Sie hatten sie kurz vor Venlo am Straßenrand begraben und Feather hatte ein letztes Lied für sie gesungen. Danach hatte er die Gruppe bei Nacht und Nebel in Richtung Nijmegen verlassen.
    Kurz zuvor schon hatte Frau Kanowski sich einer anderen Gruppe angeschlossen, die ins Ruhrgebiet unterwegs war. Und vor knapp zwei Wochen hatten sich die belgischen Klempner verabschiedet. Ruben hatte versucht, sie davon abzuhalten, und es war beinahe zu einem Kampf gekommen. Aber am Ende hatte er sie ziehen lassen. Doch damit war die Gruppe gefährlich klein geworden und so nahmen sie etwas später ein Ehepaar aus dem Norden auf. Sie waren Mitte dreißig und die Frau hatte früher mal geboxt – aber ein vollwertiger Ersatz für die Belgier waren sie nicht. Trotzdem hatte Ruben ihnen erlaubt, sich ihnen anzuschließen, was zeigte, wie verzweifelt ihre Lage war. Seitdem bestand die Gruppe aus

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